Herzzentrum

Herzmedizin

Es geht ums Herz

Ob Klappenerkrankung, verminderte Pumpleistung, Infarkt oder Rhythmusstörungen: Das Herzzentrum des Klinikums Braunschweig verbindet besonderes Know-how und die enge Kooperation dreier Fachdisziplinen.

Autorin: Prem Lata Gupta
Fotos: Nick Neufeld

Kathetergestützte Eingriffe gewinnen bei der Behandlung von unterschiedlichsten Herzerkrankungen zunehmend an Bedeutung.

Jeden Dienstag ist Konferenz: Heute sitzen acht Personen im Raum, Kardiologen und Herzchirurgen. Gemeinsam schauen sie auf den großen, geteilten Bildschirm, erörtern Diagnosen und Behandlungsmöglichkeiten. Die Schwarz-Weiß-Aufnahmen wirken animiert, weil sie wie ein Daumenkino viele Röntgenaufnahmen in schneller Abfolge zeigen. Es geht nicht nur um Erkrankte aus Braunschweig, ein 81-Jähriger wurde aus Peine überwiesen, ein anderer Mann aus Salzgitter.

In einem weiteren Fall haben es die Teilnehmer mit einem Patienten zu tun, der wegen seiner Herzerkrankung schon 18-mal stationär aufgenommen wurde. Und was tun mit der Frau, die eine defekte Herzklappe hat, schwere Symptome, Wasseransammlungen, eine Leberschwellung und dazu noch sehr übergewichtig ist? „Ich würde sie operieren“, votiert Dr. Marcel Anssar, Leitender Oberarzt der Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie und Bereichsleiter Herzchirurgie. So geht es weiter, fast im Fünf-­Minuten-­Takt. An die 25 Fälle werden in der Besprechung erörtert.

Chefarzt PD Dr. Wolfgang Harringer

Chefarzt PD Dr. Wolfgang Harringer tritt für eine verstärkte Kooperation mit anderen Kliniken in der Region ein.

Enge Zusammenarbeit auch bei Notfällen

Es gibt viel zu tun für die Herzmedizin. Das betrifft nicht nur geplante Eingriffe. Genauso arbeiten Ärztinnen und Ärzte aus Kardiologie, Herzchirurgie und Intensivmedizin bei Notfällen eng zusammen: Etwa wenn komplexe koronare Herzerkrankungen mit ausgeprägter Verengung der Koronararterien behandelt werden müssen und eine Bypass-OP nötig ist. Oder wenn sich eine Herzinsuffizienz aufgrund von Klappenerkrankungen akut verschlechtert. Bei der Nachsorge sprechen sich die Mitglieder des Herzteams ebenfalls ab. Und wenn bei Notfällen Herzrhythmusstörungen auftreten, ist auch die Rhythmologie/Elektrophysiologie involviert.

Nicht jeder weiß es: Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind hierzulande mit knapp 348.300 Verstorbenen im Jahr 2023 die häufigste Todesursache. Gleichzeitig haben sich die Therapieansätze verbessert. Das betrifft alle drei Fachdisziplinen im Herzzentrum des Klinikums: Kardiologie und Intensivmedizin, die Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie sowie die Rhythmologie/Elektrophysiologie. Prof. Dr. Tibor Kempf, neuer Chefarzt der Klinik für Kardiologie und Intensivmedizin, erklärt: „Unsere Patientinnen und Patienten sind oftmals über 80 oder gar über 90 Jahre alt.“ Damit mehren sich auch Herzerkrankungen.

Prof. Dr. Kempf, der vorher an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) tätig war, hat dort ein überregionales Herzinsuffizienz-Zentrum aufgebaut, das von der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie seit 2016 zertifiziert ist. Er hat zum selben Thema ein Netzwerk in Niedersachsen initiiert, in dem sich knapp 30 Kliniken organisiert haben. „Am Klinikum Braunschweig streben wir Expertise auf universitärem Niveau an“, so der Spezialist. Er selbst hat zu akutem und chronischem Herz- und Lungenversagen geforscht und eine Untersuchung aufschiebt, tut sich nichts Gutes. „Ein Jahr abwarten, ohne auf Herzinsuffizienz behandelt zu werden, hat eine um zwölf Prozent erhöhte Sterblichkeit zur Folge“, sagt er. Inzwischen gibt es gut wirksame Arzneimittel, und begleitend zu einer medikamentösen Therapie, die stets die Grundlage ist, kommt eventuell eine katheterbasierte Behandlung infrage oder je nach Fall ein spezieller Schrittmacher.

Zusätzliche neue Behandlungsoptionen

Dem Chefarzt geht es darum, das gesamte Spektrum an Behandlungsmöglichkeiten abzubilden, dafür will er verstärkt innovative Medizintechnik einsetzen. „Wir erleben täglich akutes Herzversagen. Manchmal sind die Verläufe dramatisch, da haben wir es mit Menschen zu tun, die wiederbelebt wurden.“ Bei ausgewählten Betroffenen sei es hilfreich, kleine Herzpumpen einzusetzen, um das geschädigte Organ zu entlasten, damit es sich erholen kann. Die Bandbreite der Therapieoptionen zu erhöhen, steht bei der Zusammenarbeit von Kardiologie und Herzchirurgie im Vordergrund. Bereits jetzt genießen die Operateurinnen und Operateure am Klinikum Braunschweig einen sehr guten Ruf und nehmen etwa 1200 Eingriffe jährlich am Herzen vor. Weil es unterschiedliche Techniken und Schwerpunkte gibt, haben sich die Teammitglieder spezialisiert. Sie gehen immer häufiger minimalinvasiv vor, beispielsweise bei Bypassoperationen. Geschick und Erfahrung sind für kathetergestützte Klappeninterventionen nötig, hierbei erfolgt der Zugang über einen Zugang in der Leiste. Auch diese Techniken sollen weiter ausgebaut werden. Das Team aus Fachleuten der Kardiologie und der Herzchirurgie wird seine Zusammenarbeit über den kathetergestützten Aortenklappenersatz (TAVI) hinaus auch bei anderen Klappeneingriffen intensivieren.

PD Dr. Wolfgang Harringer, Chefarzt der Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie, bestätigt den hohen Anspruch des Herzzentrums. „Wir machen uns Gedanken, welche Schwerpunkte wir ausbauen wollen. Dazu gehört das Thema Herzinsuffizienz. Dann gibt es Bereiche, in denen wir bereits gut sind und in denen wir noch Potenzial zur Weiterentwicklung sehen, beispielsweise beim kathetergestützten Austausch von Herzklappen.“ Chancen für eine optimierte Versorgung innerhalb der Region sieht PD Dr. Harringer auch in einer engeren Kooperation mit anderen Krankenhäusern. Wichtig sind ihm eine hohe Qualität der Behandlung und individuelle Therapiekonzepte. Beratungen über die bestmögliche Vorgehensweise finden im Team statt. „Unsere Besprechungen stellen sicher, dass niemals eine Entscheidung durch eine einzelne Person fällt.“ Der große Vorteil des Herzzentrums aus seiner Sicht: „Alle Fachleute sind vor Ort, keine Patientin und kein Patient muss wegen einer bei uns nicht vorhandenen Fachdisziplin an eine andere Klinik verwiesen werden.“

Prof. Dr. Tibor Kempf

Prof. Dr. Tibor Kempf

Chefarzt der Klinik für Kardiologie und Intensivmedizin

Prof. Dr. Matthias Antz, PD Dr. Wolfgang Harringer und Prof. Dr. Tibor Kempf

Spezialisten: Prof. Dr. Matthias Antz (von links), PD Dr. Wolfgang Harringer und Prof. Dr. Tibor Kempf.

„Ganz viel Sicherheit bei uns“

Genau diesen Aspekt und den Wert des Klinikums als Maximalversorger betont Prof. Dr. Matthias Antz, Chefarzt der Rhythmologie/Elektrophysiologie. „Weil die Patientinnen und Patienten in diese Struktur eingebettet sind, erfahren sie bei uns ganz viel Sicherheit.“ So gut wie jede Fachrichtung sei innerhalb des Klinikums vertreten, „das gibt es sonst nur an Universitätskliniken“. Sein Verantwortungsbereich fungiert seit 2024 als eigene Klinik mit zwei hochmodern ausgestatteten Herzkatheterlaboren. Hier wird am häufigsten Vorhofflimmern behandelt, doch es gibt auch viele andere Herzrhythmusstörungen. Alle diese lassen sich im EPU-­Labor entweder durch Hitze, Kälte oder gepulste Energie beheben, weil dadurch Bereiche im Herzen verödet werden, die an der gestörten Reizleitung beteiligt sind. Auch Prof. Dr. Antz hebt die enge interdisziplinäre Zusammenarbeit hervor. „Vorhofflimmern geht oft einher mit einer Herzmuskelschwäche oder Herzklappen sind undicht. Dann setzen wir uns mit den anderen Kardiologen zusammen um zu beratschlagen, was am dringlichsten therapiert werden muss.“

In seiner Klinik kommen täglich bewegliche, hochsensible Katheter zur Anwendung. Mit ihnen lässt sich die Elektrizität des Herzens untersuchen, sie liefern viele Informationen gleichzeitig. „So können wir Rhythmusstörungen besser verstehen, auslösende Areale lassen sich schneller gezielt veröden.“

Mit seinem Stellvertreter Dr. Arif Elvan hat Prof. Dr. Antz einen Kollegen an seiner Seite, der zusätzlich spezialisiert ist auf die Implantation von modernsten Schrittmachern und Defibrillatoren. Gerade hat dieser zum ersten Mal am Klinikum Braunschweig ein kabelloses Gerät eingepflanzt. „Dem Patienten geht es gut“, so Dr. Elvan. Die Klinik für Rhythmologie und Elektrophysiologie wurde jüngst von vier Oberärzten verstärkt. Nach fast 600 Verödungen von Herzrhythmusstörungen 2024 wird deren Zahl im nächsten Jahr voraussichtlich auf knapp 1000 steigen.

„Jede Behandlung erfolgt individualisiert“

Neben der fachlichen Kompetenz zählt im Herzzentrum der respektvolle Umgang mit den Erkrankten und dass diese sich auch menschlich gut aufgehoben fühlen. Eine Maxime gilt für sämtliche beteiligten Kliniken: „Unsere Patientinnen und Patienten werden alle individuell beraten und betreut. Auch das ist ein Merkmal für Qualität.“

Chefarzt Prof. Dr. Matthias Antz

Chefarzt Prof. Dr. Matthias Antz sagt über sein Fachgebiet: „Wir sind die Elektriker des Herzens.“

Stadien der Herzinsuffizienz

Herzschwäche offenbart sich in unterschiedlichen Phasen.
Die medizinische Fachgesellschaft New York Heart Association (NYHA) hat sie klassifiziert.

NYHA-Klasse I

Keine körperlichen Einschränkungen. Alltägliche körperliche Belastungen verursachen keine Erschöpfung, Herzrhythmusstörungen oder Luftnot.

NYHA-Klasse II

Leichte körperliche Einschränkungen. Keine Beschwerden in Ruhe und bei geringer Anstrengung. Stärkere körperliche Belastungen, Treppensteigen oder Bergaufgehen, verursachen Erschöpfung, Herzrhythmusstörungen oder Luftnot.

NYHA-Klasse III

Höhergradige Einschränkungen der Leistungsfähigkeit bereits bei gewohnten Tätigkeiten. Schon geringe körperliche Belastung, zum Beispiel gehen in der Ebene, verursacht Erschöpfung, Herzrhythmusstörungen oder Luftnot. Keine Beschwerden in Ruhe.

NYHA-Klasse IV

Beschwerden bei allen körperlichen Aktivitäten und in Ruhe. Bettlägerigkeit.

Quelle: Deutsche Herzstiftung 2024

Diese Darstellung zeigt, wie sich Arterien durch Cholesterinablagerungen immer weiter verengen und damit den Blutfluss beeinträchtigen.
Das kann lebensgefährlich sein: Zu den Folgeerscheinungen zählen eine koronare Herzerkrankung oder auch Schlafanfall.

Video: Chinnachart Martmoh | iStockphoto.com

Großer Andrang beim Herztag

Vor einer Simulationspuppe knien Menschen auf dem Boden und drücken mit rhythmischen Bewegungen auf deren Brustkorb. Ein Monitor zeigt an, ob Tempo und Intensität stimmen. Um Reanimationstraining geht es gerade – und dies nur ist einer von insgesamt 44 Info- und Aktionsständen beim Herztag des Klinikums Braunschweig in der Volkswagenhalle.

„Stärke Dein Herz! Herzinsuffizienz erkennen und behandeln“ lautete das Motto: Mehr als 330 Interessierte kamen, zum Teil auch ohne vorherige Anmeldung, um mehr zum Thema Herzschwäche zu erfahren. Zahlreiche Besucherinnen und Besucher ließen sich von Mitarbeitenden aus der Kardiologie und Angiologie erklären, wie eine Behandlung im Herzkatheterlabor funktioniert. Oder nur wenige Meter entfernt bei deren Kolleginnen und Kollegen aus der Rhythmologie/Elektrophysiologie, welche modernen Behandlungsverfahren es bei Herzrhythmusstörungen gibt. Auch das Thema Kunstherz fanden viele Frauen und Männer faszinierend. Schlangen bildeten sich an einer weiteren Station, wo Besucherinnen und Besucher ihren Blutdruck messen lassen konnten. Ebenfalls umlagert war der Stand der Koronarsportgruppe.

Bei den anschließenden Vorträgen zum Thema Herzschwäche stellten die Spezialisten aus dem Herzzentrum des Klinikums unterschiedliche Therapiemöglichkeiten vor, ergänzt durch Bildmaterial auf mehreren großen Screens. Die Stuhlreihen dabei waren gut besetzt, die Zuhörenden höchst aufmerksam. Wer anschließend noch individuelle Fragen hatte, konnte diese gern den Experten stellen.

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