Donnerstagmorgen, 9 Uhr, jetzt beginnt die Visite. Allerdings sieht sie anders aus als in TV-Serien: Chefarzt Dr. Andreas Beilken und sein Team entern nicht forschen Schritts die Patientenzimmer, sondern gehen noch im Flur halblaut aktuelle Untersuchungsergebnisse durch, bevor sie eintreten. Da ist die 16-jährige Mia, die seit einigen Tagen stationär behandelt wird, weil sie auf ein Antibiotikum allergisch reagiert hat. „Ganz rot war meine Haut, es hat entsetzlich gejuckt.“ Jetzt schaut ihr Körper wieder normal aus, die Symptome sind verschwunden. Darum kann sie heute entlassen werden. Auch der kleine Piet darf für einige Tage nach Hause, bevor er für die nächste Chemotherapie wieder aufgenommen wird. Zwei Jahre und acht Monate ist er alt, der Junge hat Leberkrebs. Ganz dicht neben seinem Bett steht das seiner Mutter. „Er ist ein wenig müder als sonst, aber sonst geht es ihm gut“, berichtet sie. „Sein Immunsystem ist okay, aber er sollte sich keinen Infekt einhandeln“, gibt der Chefarzt mit auf den Weg.

Für Chefarzt Dr. Andreas Beilken und auch für die Patientin ein schöner Moment: Die Entlassung steht kurz bevor.
Kinderonkologie: Krebs als Diagnose
Bevor Dr. Andreas Beilken im Spätsommer 2024 an das Klinikum Braunschweig kam, war er geschäftsführender Oberarzt der Klinik für Pädiatrische Hämatologie und Onkologie an der Medizinischen Hochschule Hannover. Die Facharztanerkennung auf dem Gebiet Kinderheilkunde und Jugendmedizin hatte der heute 57-Jährige bereits im Jahr 2003 erlangt. Es folgte die Schwerpunktanerkennung für Kinderhämatologie und -onkologie, seit mehr als 20 Jahren arbeitet er in diesem Feld. Zusätzlich qualifiziert ist Dr. Andreas Beilken durch ein berufsbegleitendes betriebswirtschaftliches Studium.
Als Chefarzt am Klinikum Braunschweig hat er neben der Herausforderung Krebs mit anderen schweren und chronischen Erkrankungen zu tun. Im nächsten Zimmer schaut ein zarter Teenie während der Visite durchgängig zu Boden. Das Mädchen wird wegen seiner Essstörung behandelt. Es ist so dünn, dass sich am Rücken die Wirbel durch ihr rosafarbenes T-Shirt abzeichnen. Fachärztin Dr. Anne-Laure Müller lobt: „Ich finde es gut, dass du gestern 2000 Kalorien geschafft hast.“ Denn Essstörungen führen nicht nur zu Untergewicht, Betroffene wie diese Patientin haben auch keinen stabilen Kreislauf mehr, ihre Herzfrequenz ist zu niedrig. Plätze in Fachkliniken sind knapp und haben lange Wartezeiten: Deshalb verbringen junge Patientinnen und Patienten mit Essstörungen hier manchmal zwei, drei Monate auf Station, bevor sie dort weiterbehandelt werden. Die Betreuung im Klinikum ist engmaschig: Hier wird genau dokumentiert, was und wie viel die junge Patientin gegessen hat. Oberärztin Dr. Astrid Mudler: „Ziel ist, das Gewicht wieder hochzubringen.“ Die Kinder- und Jugendmedizin erlebt immer mehr Fälle von Essstörungen. Dr. Andreas Beilken: „Seit der Corona-Pandemie ist die Anzahl um 40 Prozent gestiegen.“
„Du hast das Schlimmste überstanden“
Die nächste Sorge gilt der 14-Jährigen, die unter einer akuten Leukämie leidet. „Sie hat etliche Komplikationen hinter sich, aber nun kann die letzte Phase ihrer Behandlung starten.“ Während der Visite lautet die Botschaft: „Du hast das Schlimmste überstanden.“ Die Klinik blickt auf eine lange Geschichte zurück, insbesondere in der Kinderonkologie, die zu den traditionsreichsten in Niedersachsen zählt. Sie kooperiert eng mit Häusern der Grund- und Regelversorgung wie Salzgitter und Gifhorn, mit dem Klinikum Wolfsburg sowie den Universitätskliniken in Hannover und Göttingen. Das Team am Klinikum Braunschweig besteht aus erfahrenen Mitarbeitenden, das gilt für Ärzteschaft, Pflege und auch den psychosozialen Fachbereich. Oberärztin Dr. Johanna Scheer-Preiss, die dem Haus seit 2006 angehört, hat sich bereits während des Medizinstudiums entschieden, später Kinderonkologin zu werden. Sie begreift ihre Arbeit als „sehr anspruchsvoll, aber auch maximal sinnstiftend“. Leukämie ist übrigens die häufigste Krebsart im Kindesalter, macht aber nur etwa ein Drittel aller kindlichen Krebserkrankungen aus. Kinderonkologinnen und -onkologen therapieren ein breites Spektrum – von Blut- und Lymphdrüsenkrebs bis hin zu soliden Tumoren im Bauchraum, Knochenkrebs und Hirntumoren. Bei letztgenannter Diagnose etwa arbeitet die Klinik für Kinder- und Jugendmedizin eng mit der Neurochirurgie des Klinikums zusammen.

Nachuntersuchung per Ultraschall: Hierbei unterstützt als ärztlicher Kollege Chris Böthig (links).

Dr. Beilken auf Visite mit Dr. Anne-Laure Müller, Dr. Astrid Mudler und Cornelius Schneider (von links). Nachuntersuchung per Ultraschall: Hierbei unterstützt als ärztlicher Kollege Chris Böthig (links).
Nahezu alle Fachrichtungen in einem Haus
Dr. Andreas Beilken verweist darauf, dass die Erkrankungen in seinem Verantwortungsbereich nahezu das gesamte Spektrum des Klinikums abbilden. Im Akutfall operiert beispielsweise die Unfallchirurgie, „aber die Kinder und Jugendlichen liegen bei uns. Das bedeutet, dass man trotz Spezialisierung als Generalist agieren muss.“ Diese Bandbreite beschreibt auch Stationsleitung Carmen Friedrich: „Es ist, als hätte man das ganze Krankenhaus auf einem Flur.“ Denn es geht nicht nur um den gebrochenen Arm, die Blinddarmentzündung oder eben Krebs. In der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin werden auch Kinder mit Multipler Sklerose oder Diabetes behandelt. „Das bedarf ebenfalls oft langer Aufenthalte“, so Carmen Friedrich. Es ist vorteilhaft für die jungen Patientinnen und Patienten, dass das Klinikum Braunschweig als Maximalversorger beinahe alle Fachrichtungen abbildet. Es gibt eine Kinderchirurgie und -urologie, zum Haus gehören auch Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Mund-, Kiefer- und plastische Gesichtschirurgie, dazu Augenheilkunde. Dr. Andreas Beilken: „Wir sind nicht nur breit aufgestellt, es existiert auch Tiefe im Sinne von Expertise. Neben der Onkologie haben wir Schwerpunkte unter anderem in der Neurologie, für Magen-, Darm- und Stoffwechselerkrankungen sowie bei Diabetes, Gerinnungs- und Hormonstörungen.“
Der Chefarzt betont, dass sich die Therapiemöglichkeiten für viele Erkrankungen durch moderne Medikamente verbessert haben. „Wir nutzen in der Onkologie nicht nur die klassischen Chemotherapien, sondern auch Immuntherapien und zielgerichtete Therapien.“ Bei Magen-Darm-Erkrankungen habe es früher überwiegend Kortison als Behandlungsoption gegeben, heute stünden auch Biologika und Immuntherapien zur Verfügung. „Eine neurologische Erkrankung wie Multiple Sklerose kann man inzwischen sehr viel gezielter behandeln. Gegen Krampfleiden gibt es mehr Medikamente.“ Fortschritte gibt es auch beim Versuch, sogenannte seltene Erkrankungen zu identifizieren und zu behandeln. Die Definition dafür lautet, dass nicht mehr als fünf von 10 000 Menschen davon betroffen sind. Oft haben die Kinder eine Odyssee hinter sich, weil die Gründe für ihre Beschwerden (noch) nicht erkannt wurden, auch wegen unspezifischer Symptome wie chronischen Bauchschmerzen oder Durchfällen, Auffälligkeiten im Blutbild seit dem Säuglingsalter oder unerklärlichen Krämpfen. Die Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Klinikum Braunschweig setzt dann auf spezialisierte Diagnostik. Proben zur weiteren Untersuchung gehen an die Humangenetik sowie Speziallabore und Forschungsgruppen in ganz Deutschland.

Junge Krebspatientinnen und -patienten werden auch in der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin behandelt.

Dr. Andreas Beilken und Oberärztin Dr. Johanna Scheer-Preiss gehen eine Diagnose durch.
In der Kinderklinik geht es um die bestmögliche Therapie
Kinder und Jugendliche sind, so Chefarzt Dr. Andreas Beilken, eine ganz besondere Patientengruppe: „Sie sind keine kleinen Erwachsenen und müssen immer ihrem Alter und Entwicklungsstand entsprechend behandelt werden. Kinder sind Schutzbefohlene, die nicht immer eigenständig Entscheidungen treffen können.“ Die Zusammenarbeit mit den Eltern ist daher unerlässlich. „Wir möchten, dass die Kinder die bestmögliche Therapie bekommen, und wir müssen gewährleisten, dass diese bestmögliche Therapie auch Anwendung findet.“ Dr. Andreas Beilken hat es erlebt, dass Eltern ihrem Kind verschweigen wollten, dass es an Krebs leidet. Aber das sei nahezu unmöglich. „Selbst ein Dreijähriger nimmt den erschreckten Blick seiner Mutter wahr.“ Kinder hätten in solchen Situationen ein intuitives Verständnis dafür, dass sie ernsthaft krank sind. Natürlich mögen sie es nicht, gepikst zu werden. „Ein wichtiger Unterschied zu Erwachsenen ist ihre Fähigkeit, im Hier und Jetzt zu leben. Junge Patientinnen und Patienten zeigen oft eine bemerkenswerte Widerstandsfähigkeit.“
Wie ernst ist es wirklich?
Manche kommen mit einer offiziellen Einweisung von niedergelassenen Kinderärztinnen und -ärzten, viele aber ohne dieses Dokument. Die Rede ist von Eltern, die für ihren Nachwuchs Hilfe in der Kinderaufnahme suchen. Chefarzt Dr. Andreas Beilken erklärt, dass etliche Mütter und Väter es sich zu einfach machten: „Oft haben wir es mit Bagatellerkrankungen zu tun. Wenn ein Kind schon zwei Tage Fieber hat, fragen wir uns, warum die Eltern deswegen keine Kinderarztpraxis aufsuchen.“ Nur fünf bis zehn Prozent der Jungen und Mädchen, mit denen sie in die Kinderaufnahme am Klinikum Braunschweig kommen, müssten stationär aufgenommen werden. Besonders voll sei die Kinderaufnahme am Freitagnachmittag, wenn Praxen oftmals geschlossen haben. Dr. Beilken: „Wir stellen dann extra Personal ab. Dennoch kann es zu längeren Wartezeiten kommen, weil echte Notfälle immer Vorrang haben.“
Informative Links
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