Aufmerksam registriert Cornelia Rös-Keßler jede Frage oder kleine Unsicherheit: Gerade soll Tatiane dos Santos Martins eine Infusion vorbereiten. Ob man dabei Handschuhe anzieht, fragt die Brasilianerin. Kopfschütteln, „die Desinfektion ist wichtiger“, erwidert die erfahrene Praxisanleiterin und Pflegefachfrau. Tatiane dos Santos Martins ist vor fünf Monaten nach Deutschland gekommen, um in der Pflege zu arbeiten. Sie ist 38 Jahre alt, war in ihrer Heimat bereits sieben Jahre in einem Krankenhaus tätig. Dennoch muss sie intensiv auch praktisch lernen und nach insgesamt zwölf Monaten eine Prüfung ablegen, um in Deutschland als Pflegefachkraft anerkannt zu sein. „Das soll sie schaffen und darauf bereite ich sie vor“, sagt Cornelia Rös-Keßler.
18 Stunden im Monat ist sie als Praxisanleiterin im Integrationsmanagement tätig, das ausländische Pflegekräfte in der Anfangszeit am Klinikum Braunschweig unterstützt. Dabei hätte sie im August 2024 nach 45 Berufsjahren ohne Abschläge in Rente gehen können. Doch schon in der Phase des offiziellen Abschieds war ihr klar, dass sie nicht komplett aufhören will: Cornelia Rös-Keßler ist jetzt 65 Jahre alt, und wenn sie 18 Stunden im Monat auf Minijob-Basis arbeitet, dann geschieht dies nicht aus finanziellen Motiven, sondern aus Überzeugung. Mit dem Klinikum Braunschweig verbindet sie ihr gesamtes Berufsleben. Sie hat dort 1981 eine Ausbildung zur Krankenschwester begonnen, ihr Examen gemacht, für unterschiedliche Fachrichtungen gearbeitet und sich mit Anfang 50 auf Anästhesie-/Intensivpflege spezialisiert.

Cornelia Rös-Keßler
Praxisanleiterin im Integrationsmanagement

Cornelia Rös-Keßler (zweite Reihe, Dritte von rechts) während ihrer eigenen Ausbildung.

Blutgerinnungsstörungen erfordern regelmäßige Untersuchungen und natürlich Laborarbeit.
Praxisanleitung für ausländische Pflegekräfte
„Ich habe immer gern neue Kolleginnen und Kollegen eingearbeitet oder Auszubildende an die Praxis herangeführt“, erzählt sie. Sie nennt auch den Grund, warum sie sich seit ihrem Renteneintritt gezielt um ausländische Pflegefachkräfte kümmert. „Sie werden bei uns gebraucht. Sie sollen sich wohlfühlen und hierbleiben wollen.“ Denn es gibt Hürden, Cornelia Rös-Keßler zählt auf: „Viele haben den Pflegeberuf in ihrem Heimatland studiert, sind also theoretisch gut qualifiziert. Es fehlt ihnen jedoch an Praxiswissen. In anderen Gesellschaften gibt es für die Grundpflege Hilfspersonal – in Deutschland sind auch examinierte Pflegefachkräfte dafür zuständig. Dazu kommen sprachliche Barrieren.“ Die Praxisanleiterin hat Hochachtung vor den jungen Erwachsenen, die den Sprung in ein anderes Land gewagt haben: „Ich finde sie ausgesprochen mutig und ich meine, dass wir sie bestmöglich unterstützen sollten. Mal habe ich mit jemandem von den Philippinen zu tun, dann mit jemandem aus Tunesien. Ich empfinde diese Begegnungen mit anderen Kulturen als spannend. Beruflich noch am Ball zu sein, passt für mich persönlich sehr gut.“
Ausgesprochen zufrieden ist auch Dr. Wolfgang Eberl. Der langjährige Leitende Oberarzt der Kinderklinik, der immer noch eine Gerinnungsambulanz am Klinikum Braunschweig führt, bezieht ebenfalls Rente. Entspannt sitzt der 70-jährige Mediziner da und erläutert, was Kürzertreten in seinem Fall bedeutet: „Früher habe ich 60 Stunden pro Woche gearbeitet, jetzt sind es auf dem Papier 30, in Wirklichkeit aber ein wenig mehr.“ Seit 41 Jahren ist er schon am Klinikum Braunschweig. Im Juli 1984 hat er als Assistenzarzt begonnen. Wenn er an die Zeit damals denkt und sie mit heute vergleicht, fällt ihm ein gewichtiger Unterschied auf: „Wenn heute eine Arztstelle ausgeschrieben wird, melden sich ein, zwei Interessierte. Als ich meine erste Stelle antreten wollte, hatte der damalige Chefarzt der Kinderklinik 300 Bewerbungen vorliegen.“
Dr. Wolfgang Eberl weiß, dass er immer noch gebraucht wird. Aber er macht auch keinen Hehl daraus, dass er nach jahrelangem Vollgas nicht plötzlich auf null runterbremsen mochte. Wie könne man den Ausklang seines Berufslebens gestalten? Darüber habe er nachgedacht. Und sich selbst Fragen gestellt: „Was stresst mich? Was macht mir Spaß? Was ist planbar?“ So, wie er seine Arbeitszeit inzwischen einteile und wahrnehme, „ist das atmosphärisch total anders“.

Engagiert auf der Suche nach Lösungen: Seine Tätigkeit bezeichnet Dr. Wolfgang Eberl manchmal auch als Detektivarbeit.
Enge Patientenbindung über Jahrzehnte
Seine Oberarztfunktion hat Dr. Wolfgang Eberl aufgegeben, sein großer und spezieller Schwerpunkt sind nach wie vor Erkrankte mit Blutgerinnungsstörungen. Seine Ambulanz ist groß, sie versorgt 2500 Betroffene jährlich. Und weil man Hämophilie, so der Fachausdruck, nicht heilen kann und die Erkrankten lebenslang behandelt werden müssen, sieht er die vertrauten Patientinnen und Patienten regelmäßig wieder. „Bei manchen habe ich die Krankheit diagnostiziert, als sie Babys waren.
Inzwischen haben diese Menschen selbst Kinder. Sie haben sich mir anvertraut, ich bekomme immer wieder Rückmeldungen zu ihrem Gesundheitszustand.“ Der Mediziner mag diese langjährige Patientenbindung. Und er weiß, dass seine besondere Expertise geschätzt wird.
Es gibt nur wenige Gerinnungsambulanzen in Niedersachsen, Dr. Wolfgang Eberl hat viel publiziert zu seinem Spezialgebiet, auch jetzt noch besucht er Kongresse. Dennoch erlaubt es ihm die geringere Arbeitsbelastung, soziale Kontakte besser zu pflegen, als es lange Jahre zuvor möglich war. „Zehn Jahre schon hatte ich einen alten Freund, der auf Mallorca lebt, besuchen wollen. Jetzt habe ich es endlich gemacht.“
Wieder bewusst den Kontakt zu früheren Weggefährten zu suchen, intensive Gespräche zu führen – das alles erlebt er als bereichernd. Ein Weilchen wird er seine Berufstätigkeit noch fortführen. Und wenn Dr. Eberl tatsächlich ganz aufhört, was dann? Auch darüber hat er schon nachgedacht: „Ich könnte mir eine lange Tour mit dem Camper durch Norwegen vorstellen.“

Dr. Wolfgang Eberl
Leiter der Gerinnungsambulanz

Ute Hilmer
jetzt im Aufwachraum für Operierte tätig
Weil finanzielle Spielräume guttun
Reisen ist bereits jetzt das Hobby von Ute Hilmer. Gerade war sie am Gardasee: Rad fahren, wandern, noch ein paar sonnige Tage genießen. Zeit genug hat sie: Aktuell geht die ausgebildete Krankenschwester, die seit Januar 2024 in Rente ist, einem Minijob am Klinikum nach. Das war im vergangenen Jahr noch anders: Zunächst hatte sie sich nach ihrem Renteneintritt zur Weiterbeschäftigung in einer 40-Prozent-Stelle entschieden. Ganz mochte sie nicht sofort aufhören, „ich bin ja fit und gesund“.
Meistens hat sie nach eigenen Worten gern in ihrem Beruf gearbeitet, außerdem mag sie es, Kolleginnen und Kollegen um sich zu haben. Etwas Sinnvolles zu tun, war ihr wichtig. „Außerdem freue ich mich, mein Budget etwas aufzustocken – beispielsweise für Urlaube.“ Nachdem sie jahrzehntelang auf Intensivstationen tätig gewesen ist, erlebt sie die Arbeit im Aufwachraum, wo sie frisch Operierte betreut, jetzt als weniger stressig. Im nächsten Jahr möchte sie eventuell wieder auf 40 Prozent aufstocken. Unter einer Voraussetzung: „Wenn man ab 2026 tatsächlich 2000 Euro steuerfrei zur Rente dazuverdienen kann.“ Ihrem Wunsch nach Urlaub und dem Interesse, anderen Länder zu bereisen, käme solch ein Plus an Einkommen auf jeden Fall entgegen.
Möglicher Ansatz: Aktivrente
Trotz flexibler Teilzeitmodelle oder der Chance auf Minijobs für Ältere: Der Fachkräftemangel betrifft auch Medizin und Pflege. Die Bundesärztekammer beklagt gesunkene Wachstumsraten bei berufstätigen Ärztinnen und Ärzten. Gerade von den sogenannten Babyboomern unter den Ärztinnen und Ärzten gehen Zehntausende in den nächsten Jahren in Rente. Eine weitere Folge des demografischen Wandels: Geburtenstarke Jahrgänge werden irgendwann selbst zu Pflegefällen. Das Statistische Bundesamt hat 2024 errechnet, dass die Anzahl der Pflegekräfte in den nächsten zehn Jahren um neun Prozent auf 1,48 Millionen sinkt. Der Bedarf entwickelt sich diametral dazu – von 1,62 Millionen Pflegekräften im Jahr 2019 auf 2,15 Millionen Pflegekräfte im Jahr 2049.
Kein Wunder, dass die Politik gegensteuern will und muss. Allerdings ist fraglich, ob das gelingen wird. Laut aktueller Umfrage des Deutschen Berufsverbandes für Pflege können sich nur 37 Prozent der Mitarbeitenden vorstellen, bis zum gesetzlichen Renteneintrittsalter in ihrer Branche berufstätig zu sein. Andererseits hat das Institut der deutschen Wirtschaft herausgefunden, dass 77 Prozent der Deutschen sich durchaus vorstellen könnten, länger zu arbeiten – vorausgesetzt, die Last durch Steuern und Sozialabgaben würde verringert. Hier setzt die Idee der Aktivrente an: Sie soll nach dem Renteneintritt einen steuerfreien Zuverdienst von bis zu 2000 Euro ermöglichen – durchaus auch ein attraktives Modell für verrentete Pflegekräfte.
Informative Links
Unter diesen Links finden Sie weitere nützliche Links.
- https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Bevoelkerungsvorausberechnung/pflegekraeftevorausberechnung.html
- https://www.bundesaerztekammer.de/baek/ueber-uns/aerztestatistik/2023
- https://www.dbfk.de/media/docs/newsroom/publikationen/DBfK-Umfrage_Pflege-wie-geht-es-dir_2025.pdf
- https://jahresbericht.deutsche-rentenversicherung.de/artikel/in-zahlen-2024/
- https://www.iwkoeln.de/presse/pressemitteilungen/martin-beznoska-ruth-maria-schueler-stefanie-seele-aktivrente-kostet-28-milliarden-euro.html
- https://www.deutsche-rentenversicherung.de/SharedDocs/FAQ/Gesetzesaenderungen/Flexirente/Flexirente_Regelaltersgrenze.html#d57d5c7c-e685-4db9-ae58-7b199086b245
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