Gesicherte Versorgung

Dem Engpass an Medikamenten Kontra geben

Auch das Klinikum Braunschweig ist mit Medikamentenengpässen konfrontiert. Chefapotheker Hartmut Vaitiekunas und seine Stellvertreterin Gabriele Rolke erläutern Gegenstrategien.

Interview: Prem Lata Gupta

Warum gibt es überhaupt Lieferengpässe bei Medikamenten?

Hartmut Vaitiekunas: Es kommt darauf an: Solange ein Pharmaunternehmen über Exklusivrechte an seinem Produkt verfügt, existiert dieses Problem nicht. Ist der Patentschutz abgelaufen, kommen Nachahmerprodukte auf den Markt – und dann ist der Wettbewerb sehr hart. Der Preiskampf führt dazu, dass kostengünstig in Ländern wie China und Indien produziert wird. Engpässe können durch globale Krisen entstehen oder auch durch lange und damit störanfällige Lieferketten.

Gabriele Rolke: Extrem war es während der Pandemie im ersten Halbjahr 2020, als weltweit viele Patientinnen und Patienten ins künstliche Koma versetzt wurden, das bedeutete einen stark erhöhten Bedarf an Anästhetika. Desinfektionsmittel waren knapp, auch Schutzbekleidung. Trotz schwierigster Rahmenbedingungen konnten wir damals so viel Ware aus China beschaffen, um sogar noch anderen Häusern davon abzugeben.

Dennoch gibt es auch heute noch Lieferengpässe. Wie erfahren Sie davon?

Hartmut Vaitiekunas: Durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte. Mit Letzteren sind zum Beispiel Kanülen gemeint oder Verbandsmaterialien. Dass rund 500 Produkte auf der Liste stehen, ist keine Seltenheit. Damit müssen wir umgehen – nicht nur wegen der Patientinnen und Patienten am Klinikum. Unsere Apotheke beliefert außerdem das Marienstift in Braunschweig, Feuerwehr und Rettungsdienste in der Stadt, die Kirchbergklinik in Bad Lauterberg und das Psychiatriezentrum Königslutter.

Frau Rolke und Herr Vaitiekunas

Zur Person

Gabriele Rolke (links) hat ihre Laufbahn 1984 als Pharmazeutisch-technische Assistentin begonnen. Ab 1992 studierte sie Pharmazie. Ihre Zeit als Pharmazeutin im Praktikum verbrachte sie in einer öffentlichen Apotheke und bei einem Pharmaunternehmen. Für das Klinikum arbeitet sie seit 2003, ist leitend tätig in der Rezeptur und parenteralen Ernährung. Sie leitet außerdem das GMP-Herstellungszentrum. Seit 2019 hat sie die Position der stellvertretenden Chefapothekerin.

Hartmut Vaitiekunas (rechts) hat von 1987 bis 1991 Pharmazie an der TU Braunschweig studiert. Seine erste Station am Klinikum Braunschweig war als Pharmazeut im Praktikum. Es folgte in der Zeit von 1992 bis 1995 die Weiterbildung zum Fachapotheker für Klinische Pharmazie. Nach einigen Jahren als kommissarischer Chefapotheker bekleidet Hartmut Vaitiekunas seit September 1997 die Stelle des Chefapothekers am Klinikum Braunschweig.

500 verschiedene Produkte, die fehlen – das klingt nach viel. Inwiefern ist das Klinikum betroffen?

Hartmut Vaitiekunas: In Deutschland gibt es an die 80 000 Medikamente. Wir arbeiten mit einem gestrafften Portfolio von 2000 Arzneimitteln. Das ist absolut ausreichend für das hervorragende Leistungsspektrum des Klinikums. Und es bedeutet außerdem, dass wir prozentual weniger stark von Engpässen betroffen sind.

Gabriele Rolke: Ein kleineres Portfolio erhöht außerdem die Arzneimitteltherapiesicherheit. Die Dosierungen sind bekannt und bewährt, das hilft Ärztinnen und Ärzten sowie den Pflegefachkräften.

Wie reagieren Sie, wenn dennoch Schwierigkeiten auftreten?

Gabriele Rolke: Von der Arbeitszeit der 20 Apothekerinnen und Apotheker bei uns entfallen 25 Prozent auf die Recherche, wie wir doch noch an die benötigten Arzneien und Medizinprodukte kommen und wie wir gezielt den Engpass abwenden. Wir suchen Alternativen, bei denen die Wirkstoffzusammensetzung sehr ähnlich ist. Bevor wir diese einsetzen, lassen wir sie von unserer Mikrobiologie überprüfen. Und dann muss die Apotheke noch Ärzteschaft und Pflege informieren. Im Ergebnis können wir die Ausfälle ziemlich gut kompensieren.

Hartmut Vaitiekunas: Der Gesetzgeber schreibt inzwischen vor, dass Arzneimittel etwa zur intensivmedizinischen Versorgung statt wie früher vier nun sechs Wochen bevorratet sein müssen. Darüber gehen wir teilweise noch hinaus, indem wir Vorräte für drei Monate anlegen. Unsere 6000 Quadratmeter Betriebsfläche sind randvoll mit Produkten, dazu haben wir extern noch Platz für 100 Paletten angemietet. Ein weiterer Vorteil ist, dass der Bund am Städtischen Klinikum ein Sanitätsmateriallager für den Krisen- und Katastrophenfall eingerichtet hat. Die dort bevorrateten Produkte entsprechen unseren Bedürfnissen: Wir dürfen sie einsetzen und bestellen entsprechend nach.

Welche Möglichkeiten gibt es noch?

Gabriele Rolke: Indem man beispielsweise empfiehlt, statt der nicht verfügbaren 20-Milligramm-Tablette zwei 10-Milligramm-Tabletten auszugeben. Unsere Rezepturabteilung kann Suspensionen und Kapseln selbst herstellen. Wir bestellen über unseren Importeur auch gezielt im Ausland, wenn ein Medikament bundesweit nicht verfügbar ist.

Hartmut Vaitiekunas: Im Extremfall müssen wir auch zu anderen Preisen einkaufen: Das ist geschehen, weil ein Hersteller in Deutschland seine Produktion nicht rechtzeitig angepasst hat. Ein Mittel, mit dem Blutgerinnsel bei einem Schlaganfall aufgelöst werden können, drohte nach Ablauf von zwei Monaten auszugehen. Das haben wir mit Genehmigung der Geschäftsleitung zehnfach teurer aus den USA bezogen.

Darüber ist wenig bekannt, Schlagzeilen hingegen machten die Versorgungsengpässe im vergangenen Jahr bei Schmerz- und Antibiotikasäften für Kinder …

Hartmut Vaitiekunas: Die haben wir in rauen Mengen bei uns in der Apotheke selbst produziert, auch das konnten wir also kompensieren. Aber diese Möglichkeit haben niedergelassene Praxen und andere Krankenhäuser nicht. Wir sind hier ein gut aufgestelltes Team.

Hartmut Vaitikunas

Chefapotheker

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