Ärzte mit Schädelimplantat

Medizinischer Meilenstein

Schädelimplantat ohne Fremdmaterial

Mit einer neuartigen Schädelplastik aus bioresorbierbarem Material markiert das Klinikum Braunschweig einen Paradigmenwechsel in der Neurochirurgie.

Text: Susanna Bauch
Fotos: Nick Neufeld, Björn Petersen

Im Austausch: Prof. Dr. Klaus Zweckberger (links) und Dr. Henrik Giese.

Vielversprechender Schritt in die Medizin der Zukunft: Im September hat die Klinik für Neurochirurgie des Klinikums Braunschweig als zweite Klinik nach Dessau einem jungen Mann eine völlig neuartige Schädelplastik implantiert. Dabei handelt es sich um ein patientenspezifisches Implantat, das im 3D-Druckverfahren aus bioresorbierbaren Materialien hergestellt wurde – „und sich innerhalb von zwei Jahren in körpereigenes Knochengewebe umwandelt“, wie Dr. ­Henrik Giese, Operateur und Leitender Oberarzt der Klinik für Neurochirurgie, erläutert.

Die vorübergehende Entfernung eines Teils des Schädelknochens wird in der Regel durchgeführt, um Komplikationen durch erhöhten Druck und lebensbedrohliche Hirnschwellungen (oft infolge von Schlaganfällen oder Traumata) zu reduzieren. „Durch diese sogenannte dekompressive Kraniektomie wird verhindert, dass gesunde Hirnareale durch bereits geschädigtes Gewebe weiter beeinträchtigt werden“, so Dr. Giese.

Knochenwachstum wird angeregt

Bislang kamen bei solchen Eingriffen Implantate aus Titan oder Kunststoff zum Einsatz, die dauerhaft im Körper verblieben. Das neue Verfahren ermöglicht erstmals, Defekte im Schädel so zu behandeln, dass am Ende wieder ausschließlich körpereigener Knochen vorhanden ist.

„Diese Innovation markiert einen Paradigmenwechsel in der Neurochirurgie“, erklärt Prof. Dr. Klaus Zweckberger, Chefarzt der Klinik für Neurochirurgie. „Wir können Patientinnen und Patienten nicht nur sicher versorgen, sondern gleichzeitig das natürliche Knochenwachstum anregen. Damit entfällt das lebenslange Tragen eines Fremdmaterials.“

Verfahren eignet sich besonders für Kinder

Für den Eingriff am Klinikum war eine aufwendige Planung nötig. Zunächst wurde der Schädel des Patienten millimetergenau per Computertomografie vermessen, um mit diesen Daten ein individuelles 3D-Implantat anzufertigen. Während der Operation wurde das Knochenmark des Patienten punktiert und in das bioresorbierbare Material gespritzt. Dieses beginnt sich bereits nach drei Monaten abzubauen und wird langsam durch Knochen ersetzt. „Die Kombination aus 3D-Druck, bioresorbierbarem Material und körpereigenem Knochenmark eröffnet völlig neue Dimensionen in der rekonstruktiven Medizin“, sagt Dr. Giese. Das innovative Verfahren eigne sich besonders für Kinder, die noch im Wachstum sind. „Da fehlte bislang das passende Implantat, und eigener Knochen ist das Optimum.“

Innerhalb der kommenden Monate soll ein CT zeigen, wie schnell der Prozess des Knochenaufbaus des Premieren-­Patienten voranschreitet und das Implantat durch körpereigenes Knochengewebe ersetzt wird. „Wir rechnen mit einer guten Festigkeit bereits nach drei Monaten“, so Operateur Dr. Giese. Rund 20- bis 30-mal im Jahr führen die Experten diese Operation am Klinikum Braunschweig durch. Der Anteil der innovativen Eingriffe ohne Fremdmaterial – und damit weniger Belastung – dürfte künftig steigen.

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