Digitaler Helfer

Therapie per Chatbot?

Unterstützung und Ergänzung: Künstliche Intelligenz kann auch im Klinikum Braunschweig bei einer Psychotherapie helfen, soll die Therapierenden aber nicht ersetzen.

Text: Susanna Bauch
Foto: Jörg Scheibe
Illustrationen: Lars Heppner/MMA

Seit Monaten leidet eine junge Mutter unter Angststörungen und Panikattacken. Und fast genauso lange ist sie auf der Suche nach professioneller psychotherapeutischer Hilfe. Ein persönlicher Kontakt ist bislang nicht zustande gekommen, alternativ gibt es immer häufiger von künstlicher Intelligenz gestützte Onlineberatungen, zunächst zur Überbrückung der Wartezeit auf einen Therapieplatz. Den Anfang kann eine Textnachricht machen. „Wie fühlst du dich gerade?“ Am anderen Ende ist keine menschliche Stimme, keine empathische Person, nur ein Chatbot.

Von Depressionen über Angststörungen bis hin zu Suchterkrankungen: Der Bedarf an psychotherapeutischen Behandlungen hat spürbar zugenommen. Allein in Deutschland haben laut einer Studie des Robert Koch-Instituts 2023 mehr als 40 Prozent der Erwachsenen die Diagnose einer psychischen Störung erhalten – Tendenz steigend. Künstliche Intelligenz soll Arbeit übernehmen, sie steht für schnellere Lösungen, als der Mensch sie hervorzubringen vermag: KI dringt immer weiter in zwischenmenschliche Bereiche vor – darunter auch die Psychotherapie. Als digitaler Helfer, verfügbar rund um die Uhr, standardisiert, lernfähig – und nie erschöpft.

Noch individuellere Behandlung?

„KI hat in unserem Berufsfeld durchaus Chancen und Potenzial“, betont PD Dr. Alexander Diehl, Leiter der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik am Klinikum Braunschweig. „Zum Beispiel kann die KI helfen bei der Charakterisierung von Merkmalen und Beschwerden.“ Die künstliche Intelligenz könne etwa Gespräche mit Betroffenen genauer verfolgen oder eine Diagnose verbessern, indem sie neue Untergruppen einer Erkrankung erkenne. PD Dr. Diehl nennt als Beispiel Schizophrenie. „Da kann die KI im besten Fall Merkmale bei der Anamnese identifizieren, die helfen, eine Therapie noch weiter zu diversifizieren und zu individualisieren.“ So ließe sich manchen Patientinnen und Patienten unter Umständen schneller helfen. Der Mediziner kann sich zudem vorstellen, dass der Chatbot erste Informationen und künftig auch Stimmungen auffangen sowie gezielt in bestimmte Richtungen nachfragen könne. Das wären Informationen, die auch Therapiefachleuten zugutekämen.

KI kommt am Klinikum Braunschweig bislang in der Dokumentation von Anamnese und Therapiegespräch zum Einsatz. „Das entlastet professionelle menschliche Gesprächspartner, die ja mit Betroffenen zentriert arbeiten sollten“, so PD Dr. Alexander Diehl. So könnten mittels KI beispielsweise Sitzungstranskripte erstellt werden, das spare Zeit und könne etwa beim Patienten­Feedback unterstützen. Auch Vorschläge und Optionen für die Therapieplanung seien mithilfe von KI möglich. Ebenso könne sie Ressourcen sparen, indem sie beim Schreiben von Therapieanträgen und Gutachten oder bei der Terminkoordination mit Patienten eingesetzt wird. Die technischen Voraussetzungen sind gegeben. „Ich spreche da aber noch eher von IT- als von KI-Qualifikationen.“

PD Dr. Alexander Diehl

PD Dr. Alexander Diehl

Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik am Klinikum Braunschweig

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Prozent der Erwachsenen haben 2023 die Diagnose einer psychischen Störung erhalten.

Technische Lösung als Zusatzangebot

Kann eine Maschine wirklich helfen, wenn es um Verletzlichkeit, Angst oder tiefe Traumata geht? Kann KI zuhören, verstehen, Halt geben? „Die Befürchtungen, dass dies digitale Helfer nicht leisten können, sind durchaus groß“, betont PD Dr. Diehl. Der therapeutische Kontakt sei für eine Behandlung daher enorm wichtig, „ohne persönliche Anamnese und Vor-Ort-Termin funktioniert sie nicht“. Etwa wenn Patientinnen oder Patien-
ten ein Akzeptanz- oder Vertrauensproblem hätten – unterstützende Apps zeigten dann keine Wirkung. Er habe am Klinikum bereits während der Corona­Pandemie festgestellt, dass sich für Betroffene nicht annähernd so gute Erfolge und Therapieeffekte eingestellt hätten, als nur per Video kommuniziert werden durfte.

Eine KI-unterstützte App, die Patientinnen und Patienten etwa bei einer depressiven Episode begleiten könne, hält Chefarzt PD Dr. Diehl für hilfreich – sofern die Betroffenen die Technik in Anspruch nehmen wollen. „Aber stets nur als zusätzliche Option zum persönlichen Therapiegespräch. Ein Beziehungsaufbau funktioniert vor allem über echte Nähe und Stimme.“ Moderne Technik wird in der Psychotherapie am Klinikum allerdings längst genutzt. „Etwa die VR-Brille, um Problemen wie ausgeprägter Höhenangst in einer virtuellen Realität zu begegnen.“ Grundsätzlich geht der Psychiater davon aus, dass die KI auch für seinen Arbeitsbereich immer weiterentwickelt wird – im Rahmen rechtlicher und ethischer Grenzen wie denen des Daten- und Persönlichkeitsschutzes. „Wer aber monatelang ohne Unterstützung auskommen muss, erwägt sicher auch schneller einen Chatbot als psychologische Beratung. Dennoch bin ich der Meinung: KI kann in der Therapie unterstützen, sie aber nicht übernehmen.“

Apps zu psychischen Störungen werden erprobt

Seit einigen Jahren werden Apps entwickelt, die zur Behandlung psychischer und psychiatrischer Erkrankungen wie etwa Depressionen, Essstörungen, Ängste, Zwänge, posttraumatische Belastungsstörung, bipolare Störungen, Borderline-­Persönlichkeits­störung, Psychosen oder Schizophrenie eingesetzt werden können. Sie sind zum Teil bereits für den breiten klinischen Einsatz zugänglich oder werden noch im Rahmen von wissenschaftlichen Studien erprobt. Demnach ist etwa davon auszugehen, dass Apps hilfreich sein können, wenn es darum geht, Menschen mit psychischen Problemen oder Störungen an eine fachgerechte Behandlung heranzuführen oder Wartezeiten auf einen Therapieplatz sinnvoll zu nutzen, eine Psychotherapie zu unterstützen und Erkrankten bei den therapeutischen Hausaufgaben zu assistieren.

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