Sina Helms beim Rundgang auf der chirurgischen Station: In den Patientenzimmern misst sie Vitalwerte und kontrolliert Verbände.

Ausbildung in der Pflege: Chance fürs Leben

Arbeiten mit kranken und für kranke Menschen: PULS hat angehende Pflegefachkräfte begleitet. Offen sprechen die jungen Leute über ihre Motivation, über Widerstände sowie persönliche Perspektiven. Denn ihre Ausbildung am Klinikum Braunschweig ist facettenreich und anspruchsvoll zugleich.

Autorin: Prem Lata Gupta

Alexander Fahron
im ersten Ausbildungsjahr zum Pflegefachmann

Es ist 7 Uhr morgens: Sina Helms macht mit dem sogenannten Messturm die Runde auf der C 4, einer chirurgischen Station. Der Messturm ist ein Wagen, ausgestattet mit einem Computer und verschiedenen Instrumenten, um beispielsweise Körpertemperatur und Blutdruck zu überprüfen und diese Werte dann elektronisch direkt in die Patientenakte zu übertragen. Sina Helms ist angehende Pflegefachfrau, aktuell absolviert sie ihr zweites Ausbildungsjahr am Klinikum Braunschweig. Ihr Auftreten ist professionell, als sie das Zimmer betritt, in dem zwei Frauen liegen: Hier checkt die 20-Jährige bei der einen deren Pflaster nach einer Gallen-OP und beruhigt die Patientin. „Es sieht gut aus, da ist nichts durchgesuppt.“ Die ältere Dame im daneben stehenden Bett hat eine schwere Sepsis überstanden und liegt nach mehreren Wochen Intensiv- jetzt wieder auf einer Normalstation. Sina Helms misst die Sauerstoffsättigung, holt etwas zu trinken, weil die Patientin über einen trockenen Mund klagt, als Nächstes steht die Körperpflege an.

Kranke Menschen berühren, sie waschen, Wunden versorgen – das hätte sie sich früher nicht vorstellen können. Ursprünglich war ihr Wunsch, zur Polizei zu gehen. Doch nach einem Bundesfreiwilligenjahr hatte die Abiturientin einen NDR-Bericht über Fachkräftemangel in der Pflege gesehen. Heute erklärt sie: „Es zählt nicht der Schulabschluss, sondern ob man mit Menschen umgehen kann.“

Erste Eindrücke durch Praktikum

Es ist eine Aussage, die Alexander Fahron bestätigt, dennoch sagt der angehende Pflegefachmann im ersten Ausbildungsjahr: „Ich habe in meinem Leben keine andere Fremdsprache als Englisch gelernt, jetzt muss ich mir unzählige lateinische Ausdrücke aneignen.“ Bisher klappt das, „um meine Noten muss ich mir keine Sorgen machen“. Seine Vita: Erst Hauptschule, dann Tischlerlehre und Realschulabschluss, zwei Jahre Wehrdienst bei der Bundeswehr, Schulung zum Rettungssanitäter. „Dazu gehörte auch ein Klinikpraktikum, da habe ich gemerkt, dass Krankenhaus Spaß macht.“ Bevor er mit seiner Ausbildung gestartet ist, „haben meine Kumpels mich hochgenommen. Das wäre doch ein Frauenberuf, haben sie gesagt. Und da würde man doch nur anderen den Hintern abputzen.“

Das stimmt nicht, das weiß Alexander Fahron jetzt. Gerade sitzt er in der Berufsfachschule Pflege und hebt die Hand, als Risikofaktoren von Übergewicht zusammengetragen werden. Es geht um das fiktive Beispiel einer 15-Jährigen, die bereits viel zu schwer ist. Hypercholesterinämie steht an der Tafel: „Sie hat zu viele Fette im Blut“, übersetzt der 23-Jährige. Die Antwort ist korrekt.

Es folgt eine Aufgabe, bei der Schülerinnen und Schüler paarweise zusammenarbeiten. Sie sitzen Rücken an Rücken, ein Azubi hält eine Abbildung mit geometrischen Figuren in der Hand und muss sie beschreiben: Der oder die andere muss basierend auf diesen Angaben eine Darstellung fertigen. Als die Ergebnisse präsentiert werden, müssen alle lachen: Kein Bild stimmt mit der Originalvorlage überein. Diplom-Pädagogin Gabi Rakebrand erklärt den Sinn der Übung: „Es ist nicht einfach, etwas zu erklären, worüber der andere nichts weiß. Aber Pflegefachkräfte sind auch Wissensvermittler.“ Anschließend will sie von den jungen Leuten wissen, was eine erfolgreiche

Ronahi Kurt
im dritten Ausbildungsjahr zur Pflegefachfrau

Patientenaufklärung voraussetzt. „Die Begegnung muss live stattfinden“ und „man kann Hilfsmittel benutzen, um Fachbegriffe deutlich zu machen“ lauten einige der Ideen aus der Klasse.

Diese Übung ist mehr als ein Spiel. „Das Pflegeberufegesetz zielt neben fachlichen auch stark auf kommunikative Fähigkeiten ab, diese sollen gerade im theoretischen Teil der Ausbildung stärker als früher vermittelt werden“, erläutert Michaela Picker, Leiterin der Berufsfachschule. „Die Ausbildung heute ist durchaus mit höheren Ansprüchen verbunden“, einfach weil nicht nur Faktenwissen gefordert sei, sondern auch der Transfer. Weniger Büffelei also zu klar umrissenen Themen wie Pflege bei Herzinfarkt, so Michaela Picker, „stattdessen gilt es zu schauen: Da ist ein Mensch, der hat dicke Beine und hohen Blutdruck – wie hängt das zusammen und wie kann ich denjenigen unterstützen?“

Das Klinikum Braunschweig genießt bei angehenden Pflegefachkräften eine hohe Anziehungskraft. „Weil es ein Maximalversorger ist, dessen viele Kliniken nahezu alle Bereiche abdecken“, so Alexander Fahron, hat er sich trotz weiterer Zusagen von anderen Häusern für diese Option entschieden.

Oberärztin Gülhan Turk (links) lässt sich von Ronahi Kurt beim Ultraschall assistieren.
Ronahi Kurt bereitet Patientenunterlagen vor und nach: Dokumentation spielt eine elementare Rolle.

Videos unterstützen beim Lernen

Es gibt noch mehr Pluspunkte: Sowohl er als auch Sina Helms schätzen die Übungseinheiten im PflegeLab, in dem Auszubildende an einer Simulationspuppe unter anderem Wundversorgung und das Legen eines Blasenkatheters üben oder auch Vitalzeichen richtig einzuschätzen lernen.

Das geschieht in kleinen Gruppen, individuell unterstützt durch Praxisanleitende. Jedem Kursus – sie beginnen zweimal im Jahr, im Februar und im August – ist eine Theorielehrkraft und eine Praxisanleitung zugeordnet. Das Curriculum wurde von Lehrenden aus Praxis und Theorie gemeinsam erarbeitet. So sind Didaktik und Inhalte eng miteinander abgestimmt.

„Dies ist ein Alleinstellungsmerkmal von uns“, betont Dr. Martin Mrugalla, stellvertretender Leiter der Schule. Worauf er ebenfalls stolz ist: „Wir sind Projektschule des Landes Niedersachsen. Im Rahmen der Landesinitiative n-21, die digitales Lernen voranbringen soll, hat sich das Klinikum in Kooperation mit dem Marienstift um Fördergelder beworben: Das selbst entwickelte Konzept sieht vor, Auszubildende während des Unterrichts in Pflegesituationen zu filmen. Diese Videos werden benotet und wiederum anderen Auszubildenden zur Verfügung gestellt. Ausländische Schülerinnen und Schüler, die einen bedeutenden Anteil ausmachen, können diese im nächsten Schritt in ihrer Muttersprache nachvertonen.

Die sogenannte Lernstation, bei der im dritten Ausbildungsjahr angehende Pflegefachkräfte alle pflegerischen Aufgaben übernehmen und auch Arbeitsabläufe organisieren – und zwar im Klinikum – wird nach den bisherigen guten Erfahrungen nunmehr von zwei auf vier Wochen verlängert. Praxisanleiterin Janine Mengel: „Neu ist auch der Ansatz, dass Auszubildende aus dem dritten Jahr ihrerseits Erstkursschüler beraten und anleiten.“

Sina Helms
im zweiten Ausbildungsjahr zur Pflegefachfrau

Alle drei haben viele Pläne für die Zukunft

Solche Konzepte hätte sich Ronahi Kurt gewünscht. Sie ist selbst inzwischen im dritten Ausbildungsjahr. „Am Anfang habe ich immer ehrfürchtig auf die anderen, die schon weiter waren, geschaut. Damals dachte ich: Wie soll ich das alles lernen? So etwas Kompliziertes etwa wie mit Infusionspumpen umzugehen!“ Diese Unsicherheit hat sich längst gelegt. Überhaupt findet die 22-jährige junge Frau, „war es die beste Entscheidung, diese Ausbildung zu beginnen. Die Teamarbeit ist prima, in der Klasse unterstützen wir uns gegenseitig.“ Worüber sie sich zuvor Gedanken gemacht hat: „Ich bin tough und dennoch ein emotionaler Mensch. Patientenschicksale können einen mitnehmen. Im Klinikum aber habe ich gelernt, damit umzugehen.“ Als angenehm empfindet sie, dass „Pflegefachkräfte Wertschätzung erleben – im Umgang mit Patientinnen und Patienten genauso wie durch Ärztinnen und Ärzte.“

Eben noch hat sie in der Ambulanz der Frauenklinik mitgearbeitet, musste dort Blut abnehmen, war bei Aufklärungsgesprächen vor Eingriffen dabei und hat auch den Untersuchungsplatz vorbereitet. Davor wurde sie auf der

Kinderstation eingesetzt, in der Bauch-, Unfall- und Neurochirurgie, auch in der Zentralen Notaufnahme. Spannend fand Rohani Kurt die Intermediate Care Station: „Dort werden Patientinnen und Patienten rund um die Uhr überwacht. Man muss viele Geräte und viele Werte im Auge haben. Das fordert einen noch mehr als die Arbeit auf einer normalen Station.“ Nach dem Examen möchte sie am liebsten in der Notaufnahme arbeiten. „Das finde ich besonders abwechslungsreich.“

Auch Alexander Fahron macht sich bereits Gedanken über die Zukunft: „Ich möchte eine Fachweiterbildung zur Anästhesie-/Intensivpflegefachkraft machen“, sagt er. Sina Helms, die parallel zu ihrer Ausbildung noch Pflegewissenschaften an der Ostfalia studiert – ein Angebot des Klinikums Braunschweig für besonders engagierte Berufsanfängerinnen und 
-anfänger –, sagt: „Ich kann mir auf jeden Fall vorstellen, weiterhin im Krankenhaus zu arbeiten. Man hat so viele Möglichkeiten, sich weiterzuqualifizieren“.

Theoretischer Unterricht hat einen hohen Stellenwert: Alexander Fahron mit Schulleiterin Michaela Picker.

Gründe für eine Ausbildung
in der Pflege

Angehende Pflegefachkräfte wissen genau, warum sie sich für diese Ausbildung – und gerade am Klinikum Braunschweig – entschieden haben. Das sind die drei wichtigsten Begründungen:

  1. Ein zukunftssicherer, sozialer Beruf mit hoher Verantwortung/
    Sinnhaftigkeit und sehr guten Karrieremöglichkeiten
  2. Die intensive Unterstützung durch die Schule mit Praxisanleitenden, PflegeLab und Lernstation im Rahmen der praktischen Ausbildung
  3. Ein Klinikum der Maximalversorgung bietet einen guten Einblick in anspruchsvolle und umfangreiche Einsatzgebiete
Alexander Fahron mit Lehrerin Ilka Wachsmann im fachpraktischen Unterricht an der Berufsschule.

Interview: „Beruhigendes Gefühl“

Der praxisanleitende Anteil der Ausbildung ist per Gesetz festgeschrieben. Janine Mengel beschäftigt sich hauptberuflich mit dieser Aufgabe. Sie erklärt das Prinzip und die Vorteile.

Was hat sich bezüglich der Praxisanleitung in der generalistischen Ausbildung geändert?
Zehn Prozent jedes einzelnen Einsatzes werden von Praxisanleitenden begleitet. Das betrifft jeden Bereich, in der Akutpflege, in der ambulanten Pflege oder in der Langzeitpflege. Am Klinikum Braunschweig übertreffen wir die zehn Prozent sogar.

Wie kommt das?
Weil Praxisanleitung sowohl auf Station als auch in unserem PflegeLab stattfindet. Hier wie dort trainieren wir Tätigkeiten wie Vitalzeichenkontrolle, Blutzuckermessen über Infusionsmanagement bis hin zu komplexen Szenarien etwa vor und nach einer großen Darm-OP: Das betrifft dafür notwendige Dokumente, aber auch die Mobilisierung nach dem Eingriff oder Anleitung zu Atemübungen, um einer Lungenentzündung vorzubeugen.

Azubis scheint Lernen mit Praxisanleitung besonders viel Spaß zu machen. Warum?
Zum einen sind wir einfach da, sie können uns Fragen stellen. Praxisanleitung auf Station bedeutet zudem, dass nicht 15 Patientinnen und Patienten, sondern nur zwei bis vier versorgt werden müssen: So lassen sich Symptome, das Krankheitsbild und Therapiemaßnahmen besser vermitteln. Und die Azubis

haben das beruhigende Gefühl, in einem sicheren Rahmen auch mal Fehler machen zu dürfen, ohne dass dies gravierende Folgen hat.

Was qualifiziert Praxisanleiterinnen und -anleiter?
Es handelt sich um examinierte Pflegefachkräfte, die eine 300 Stunden umfassende Fachweiterbildung machen müssen, dabei werden pädagogische und kommunikative Aspekte vertieft. Am Ende steht eine Prüfung. Einige bei uns haben einen Bachelor, andere arbeiten gerade darauf hin, in ganz unterschiedlichen Fächern übrigens, beispielsweise Pflegewissenschaften, Gesundheitsmanagement oder auch Medizinpädagogik.

Praxisanleiterin Janine Mengel unterrichtet Auszubildende auf Station und im PflegeLAB.

2023-06-06T18:43:47+02:00
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