Erklären und üben am Modell: Schulleiterin Ria Zimmermann (von links) mit den Auszubildenden Atossa Zolghadri und Karina Greb.
Studium eingeführt
Die Hebammenschule des Klinikums schließt – damit endet eine Tradition, die in Braunschweig bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts zurückreicht. Hintergrund: Um Hebamme zu werden, ist statt einer Ausbildung inzwischen ein Studium erforderlich.
Autorin: Prem Lata Gupta
Nur noch wenige Tage bis zum Examen: Im Unterrichtsraum der Hebammenschule wiederholen zwölf Auszubildende verschiedene Inhalte im Fach Geburtshilfe, indem sie Kurzreferate halten und dabei ihre Mitschülerinnen abfragen. Die Stimmung ist fröhlich und konzentriert zugleich. Zunächst geht es um Basiswissen: Zu jedem Teil des weiblichen Genitals, das als Zeichnung in einer Präsentation gezeigt wird, nennen die jungen Frauen neben der deutschen Bezeichnung auch den lateinischen Fachbegriff. „Venushügel, mons pubis“ beispielsweise. Wer zögert mit der Antwort, den ermuntern die anderen: „Du schaffst das.“
Ria Zimmermann, verantwortlich für die fachliche Leitung der Schule, und Sylvie Göttsche, Kursleitung und langjährige Dozentin, hören zu. Nur wenn die Meinungen nicht übereinstimmen, etwa bei der Frage „Was markiert den Beginn des Geburtsvorgangs?“, schalten die examinierten Hebammen sich ein und liefern das richtige Stichwort – „zum Beispiel der Blasensprung“. Ria Zimmermann vermittelt Zuversicht: „Wir werden euch in der Prüfung keine Aufgaben stellen, zu denen es keine klaren Antworten gibt.“
Kurz vor dem Examen wiederholt Livia Sarjaduk (Mitte) die Anatomie des weiblichen Beckens.
Angehende Hebammen werden gut unterstützt
Nächstes Thema: Was tun bei Beckenendlage des ungeborenen Kindes? Wie kann eine Hebamme unterstützen? Mareike Gundlach demonstriert gemeinsam mit einer Mitschülerin anhand eines Torsos und einer Puppe die richtigen Handgriffe. Die 29-Jährige hat sich aus voller Überzeugung für die Schule entschieden: „Das Wissen wird gut gegliedert vermittelt, der Praxisanteil ist hoch.“ Im Gegensatz zum Studium der Hebammenwissenschaften und der vom Gesetzgeber seit 2020 verankerten Akademisierung des Berufs, mag sie „den höheren handwerklichen Anteil“ einer Ausbildung. Und Lea Lendic lobt: „Die Schule gibt es schon lange, wir werden hier gut unterstützt während der Ausbildung, das gibt mir ein Gefühl von Sicherheit.“ Die Auszubildenden müssen sich umfangreiches Wissen aneignen: Auf dem Stundenplan stehen neben Geburtshilfe Fächer wie Gynäkologie, Anatomie, Kinderheilkunde, Psychologie, Hygiene, Gesundheits- und Krankheitslehre, auch Fachenglisch.
Jette Ramdohr hat ihr Examen 2023 gemacht. Ihre Ausbildung bezeichnet sie als „lehrreich und schön, aber auch als stressige Zeit“, wie sie sagt. Sie arbeitet seitdem im Kreißsaal des Klinikums, um „in einem vertrauten Team Erfahrungen zu sammeln“. Dass die Schule schließt, findet sie schade. Aus ihrer Sicht wäre es besser, wenn Ausbildung und
Bachelorstudium gleichermaßen angeboten würden.
Klinikum kooperiert mit Hochschulen
Im Rahmen der Vereinheitlichung von Berufsabschlüssen innerhalb der EU hat Deutschland als letztes EU-Mitglied beschlossen, künftige Hebammen in einem Bachelorstudiengang auszubilden – natürlich ebenfalls mit Praxisanteilen – die Bedeutung des Berufes aufzuwerten und verstärkt wissenschaftliche Anteile zu vermitteln. Die Hebammenschule in Braunschweig hat zuletzt eine Übergangsphase durchlaufen: Es gab auch nach 2020 die Möglichkeit zur Ausbildung und außerdem etliche Jahre auch eine Kooperation mit der Hochschule Osnabrück, sodass angehende Hebammen neben ihrer Ausbildung berufsbegleitend studieren konnten. Mit Ausgabe der Zeugnisse im August 2024 endete die Ausbildung in der Berufsfachschule, doch gibt es weiterhin die Möglichkeit, den Beruf in Braunschweig zu ergreifen: Seit 2020 fungiert das Klinikum Braunschweig als verantwortliche Praxiseinrichtung (vPE) in Kooperationen mit der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst in Göttingen und der Medizinischen Hochschule Hannover. An beiden Einrichtungen lässt sich Hebammenwissenschaft studieren.
Ria Zimmermann
Fachliche Leitung der Hebammenschule des Klinikums Braunschweig
Janine Greve (links) und Mareike Gundlach (rechts) simulieren vor Lehrerin Sylvie Göttsche die Unterstützung bei einer Beckenendlage.
Hebammen zogen 1891 an Standort Celler Straße
Damit geht eine lange Geschichte zu Ende: Denn in Braunschweig entstand Mitte des 18. Jahrhunderts eine der ersten Hebammenschulen Deutschlands. Bereits 1747 wurde als offizielles Gremium in der Stadt das Collegium Medicum gegründet. Die hier tätigen Ärzte sollten auch das Hebammenwesen beaufsichtigen. Den Unterricht der Hebammen übernahm der Stadtphysikus als Leiter des öffentlichen Gesundheitswesens.
1751 begann der Unterricht für Chirurgen und Hebammen in Braunschweig zu festgelegten Stunden. Das Hintergebäude eines Garnisonslazaretts diente als Accouchierhaus (accouchieren = niederkommen). Nach 120-jährigem Bestehen musste 1869 das inzwischen umbenannte Collegium Anatomico-Chirurgicum schließen, lediglich die Hebammenschule blieb erhalten. Doch sie sollte nach jahrzehntelangem Bestehen in Räumlichkeiten mitten in der Stadt eine neue Heimat bekommen. Und zwar in einem großen Krankenhauskomplex: 1891 war Baubeginn für eine Reihe von Gebäuden, die Einwohnerinnen und Einwohner heute als Standort Celler Straße des Städtischen Klinikums Braunschweig kennen. Dieses Krankenhaus diente unter anderem als Entbindungsanstalt, Hebammenschülerinnen waren in unmittelbarer Nähe zu den werdenden Müttern untergebracht. Es war eine Regelung, die sich über Jahrzehnte hielt.
Karina Greb (links) und Lea Lendic beim Kurzreferat: Gemeinsam fragen sie ihre Mitschülerinnen ab.
Professionalisierung des Berufsbildes
Was sich änderte, war eine Verlängerung der Hebammenausbildung von zwei auf drei Jahre im Jahr 1983. Die Schule zog 2001 von der Celler Straße in die Naumburgstraße, dort standen mehr Unterrichtsräume zur Verfügung. Annegret Roemheld, Medizinsoziologin und seit 2019 für die organisatorische Leitung der Hebammenschule verantwortlich, erklärt: „Besonders in den vergangenen 20 Jahren hat eine starke Professionalisierung des Berufsbildes stattgefunden.“
Der Bedarf an Hebammen jedenfalls hat auch die jüngere Vergangenheit geprägt: So wurde an der Hebammenschule des Klinikums seit 1993 jährlich ausgebildet, mit 24 Auszubildenden, verteilt auf drei Kurse. Seit 2017/2018 stieg die Anzahl wegen Kooperationen mit anderen Kliniken, in denen die Schülerinnen Praxiserfahrung sammeln konnten, auf 48.
Mehr wissenschaftlicher Hintergrund
Annegret Roemheld sieht die Transformation hin zum Studium als richtig an: „Der Hebammenberuf ist vom Anspruch sehr für die Hochschule geeignet.“ Ihre Kollegin Ria Zimmermann ergänzt: „Die Ausbildung war immer schon fachlich sehr fundiert. An der Hochschule werden Erkenntnisse wissenschaftlich hinterfragt und hinterlegt.“ Denn die akademische Hebammenausbildung schaffe eine Verbindung von wissenschaftlichem, evidenzbasiertem und praktischem Arbeiten. Beide bisherigen Leiterinnen der Hebammenschule weisen darauf hin, dass bei einer Bewerbung an Hochschulen oder Universitäten in der Regel die Durchschnittsnote vom Schulabschluss ausschlaggebend ist. Für ein Vorgespräch, wie es im Bewerbungsprozedere an der Schule üblich war, fehlen oftmals Zeit und Ressourcen. Andererseits würden im akademischen Setting zusätzliche Inhalte wie öffentliches Gesundheitswesen oder Kommunikationstheorie vermittelt. Sogenannte Skills-Labs ermöglichen Simulationen, um sich realitätsgetreu auf die praktische Arbeit vorzubereiten. Die beiden Leiterinnen: „Damit sind die Hochschulen in Niedersachsen bestens ausgestattet.“ – „Und sie werden durch die Zusammenarbeit mit den freiberuflichen und klinischen Kooperationspartnern wie dem Klinikum Braunschweig in den praktischen Studiumsanteilen bestärkt.“
Immer auf Abruf bereit
Angelika Lisitzki (unser Bild) war von 1979 bis 1981 Hebammenschülerin. Gewohnt hat sie direkt neben dem Klinikum an der Celler Straße in einer alten Villa mit möblierten Zimmern für die Auszubildenden. „Wir waren nur fünf Schülerinnen pro Kurs.“ Obwohl sie sich mehr an die Praxis als an die Theorie während ihrer Ausbildung erinnert, sagt sie: „Wir haben uns sehr viel Wissen angeeignet.“ Wenn erfahrene Hebammen und Ärzteschaft meinten, die Schülerinnen könnten bei einer Hochrisikogeburt etwas Neues lernen, „dann wurden wir dazugerufen – auch wenn wir nicht im Dienst waren“.
Was sie schön fand: „Das Team, zu dem auch die Ärzte zählten, war wie eine große Familie. Wir haben beruflich eng zusammengearbeitet und sogar privat zusammen gefeiert.“ Diagnostik und auch der Umgang mit den werdenden Müttern im Kreißsaal könnten nicht mit heute verglichen werden: Ultraschalluntersuchungen waren nicht die Regel, Frauen entbanden damals ausschließlich im Liegen, „der Partner oder Ehemann war bei der Geburt nicht dabei, es wurde das Neugeborene auch nicht der Mutter auf den Bauch gelegt, sondern erst in einen Nebenraum und dann auf die Säuglingsstation fortgebracht.“ Mehr Optionen im Kreißsaal wie Geburtshocker oder Badewanne, die Anwesenheit einer Begleitperson, Körperkontakt zwischen Mutter und Kind direkt nach der Entbindung, diese Neuerungen hat Angelika Lisitzki erst ab Mitte der 1980er-Jahre erlebt.
Hier kann man in Niedersachsen Hebammenwissenschaft studieren
Für mehr Infos klicken Sie auf den jeweiligen Studienort.
HAWK Göttingen
(Kooperation mit Klinikum Braunschweig)
MHH Hannover
(Kooperation mit Klinikum Braunschweig)
Quelle: Leitung Hebammenschule Braunschweig/eigene Recherche, Stand: August 2024
Informative Links
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