Pflege-Influencerinnen:
,,Wir dürfen kritisch sein“
Vanessa Schulte und Josie Seiler, zwei junge Pflegefachkräfte am Klinikum Braunschweig, berichten ambitioniert und detailliert auf Instagram über ihre Arbeit auf Station. Sie nehmen dabei kein Blatt vor den Mund.
Autorin: Margot Dankwerth
„Wir haben zeitgleich im Oktober 2018 die Ausbildung begonnen und im zweiten Jahr nach Absprache mit dem Arbeitgeber entschieden, bei Instagram darüber zu berichten“, sagt Vanessa, „wir wollten die guten und die weniger guten Seiten des Jobs zeigen.“ Die 30-Jährige nennt den Grund: „Uns war schnell klar, dass sich in unserem Beruf etwas ändern muss. Und dass das nur geht, indem wir Aufmerksamkeit schaffen, laut sind und uns präsentieren. Vor allem den Beruf präsentieren und zeigen, wie cool er ist.“
Cool und handwerklich perfekt gemacht sind auch die Beiträge der Freundinnen, die mindestens einmal die Woche unter @vanessaundjosie gepostet werden. Schnelle Musik, schräge Fotos und Videos als Einstieg, gefolgt von einem ernsten Thema, etwa Berufspolitisches. Wieso gibt es nur so ein geringes Gehalt in der Pflege? Warum genießt das Heilen, lange Zeit männlich geprägte Domäne, mehr gesellschaftliches Ansehen als die weiblich dominierte Pflege? Warum engagieren sich so wenige Kolleginnen und Kollegen in Berufsverbänden und Gewerkschaften?
Persönliche Erlebnisse
„Wir wollen etwas verändern“, sagt Josie, 27 Jahre alt, „und die große Verantwortung zeigen, die wir tragen. Wir brauchen mehr Anerkennung. Und mehr Azubis in der Pflege, die nach der Ausbildung auch bleiben – das ist ein riesiges Problem, denn unsere Gesellschaft wird immer älter und das Pflegepersonal immer weniger.“
Im Blog geht es auch um sehr persönliche Erlebnisse während der Arbeit. „Meine allererste Reanimation im CT, kurz nach meinem Beginn als examinierte Kraft“, erinnert sich Josie, „das war für mich ein prägender Moment. Eine Ausnahmesituation, Schock, Aufregung, alles auf einmal. Da habe ich direkt meine Eindrücke verarbeitet und einen Beitrag geschrieben. So kann man sich mit anderen austauschen, das tut gut.“
Positive Einstellung vermitteln
Aber auch die Stimmung auf Station ist manchmal Thema. Die meiste Aufregung, berichten beide, brachte ein Post, in dem sie über das auf junge Pflegefachkräfte zuweilen demotivierende Verhalten dienstälterer Kolleginnen und Kollegen sprachen. Einigen von ihnen fehle oft zu Schichtbeginn schon Kraft und Energie. Junge Berufsanfängerinnen und -anfänger würden ab und zu mit der Frage konfrontiert: „Habt ihr euch das mit dem Job auch gut überlegt?“ Auf Auszubildende könne das abschreckend wirken. „Die sollten uns doch eine positive Einstellung zum Beruf vermitteln“, heißt es dazu. Zu dem Post gab es viele Kommentare, zustimmende und ablehnende. Die zwei sagen: „Man macht sich mit solchen Aussagen nicht gerade beliebt.“ Die Influencerinnen stört das nicht, Ärger mit Vorgesetzten habe es noch nie gegeben.
Heute arbeiten Vanessa, die parallel zum Job noch Pflegewissenschaften studiert, und Josie, beide inzwischen examinierte Kräfte, auf verschiedenen Stationen. Gemeinsame Freizeit für den Blog ist knapp. Über die nächsten Themen wird spontan entschieden, Fotos und Videos entstehen dann abends oder nach Dienstschluss im Klinikum.
Apropos Technik – wie kriegt man die Posts so perfekt hin? „Wir haben uns reingefuchst“, sagt Josie, „und mit der Zeit wurde die Qualität unserer Fotos und Videos immer besser.“
Den Account @vanessaundjosie wird es geben, solange beide Spaß daran haben. Thematisch haben die Bloggerinnen weiterhin freie Hand. Vanessa: „Zensur gibt es nicht. Natürlich achten wir auf Datenschutz und stellen niemanden an den Pranger. Vonseiten des Klinikums erhalten wir Rückenstärkung. Wir dürfen kritisch sein.“
Erfinderisch: Vivien Barresi entwickelt eine hilfreiche App.
Unterstützung gesucht:
Infos per App
Ein weiteres Nachwuchstalent im Klinikum ist Vivien Barresi. Die Pflegefachkraft im zweiten Ausbildungsjahr entwickelt eine App, die den Informationsfluss erleichtern soll. Beispiel Visite. „Patientinnen und Patienten fragen hinterher: ,Was hat der Doktor gemeint?‘“ Mithilfe ihrer App könnte Barresi die Fragen an die Ärztinnen und Ärzte weiterleiten – oder Kranke könnten mit ihrem Handy den QR-Code der Station scannen und würden direkt mit ihrer digitalen Akte verbunden. Es sind viele Funktionen möglich.
Viel positives Feedback gab es schon, die 21-Jährige wurde für den „Queen Silvia Nursing Award 2021“, mit dem die schwedische Königin besondere Pflegeprojekte würdigt, nominiert. Das mit 6000 Euro dotierte Stipendium ging letztlich nicht an sie – darum sucht Vivien Barresi nun Unterstützung, um ihre Pflege-App technisch umsetzen zu können. „Ich brenne für diese Idee, aber alleine schaffe ich es nicht.“