Soft skills als Pflegefachkraft: Professionell,
mit viel Gefühl
Es gibt Aufgaben in der Pflege, die neben einer Fachweiterbildung besonders viel Einfühlungsvermögen erfordern. PULS hat Mitarbeitende getroffen, die krebskranke Kinder, Patientinnen und Patienten in der Psychiatrie oder auch alte Menschen betreuen.
Autorin: Prem Lata Gupta
Große Augen, Schnuller im Mund, zarter Flaum auf dem Kopf: Lea (Name geändert) steht auf dem Flur der Kinderonkologie-Station. Auf der Bilderwand im Spielzimmer hängt ein Foto von ihr. Da sind ihre Haare noch kinnlang. Die Dreijährige leidet an Leukämie – und die Chemotherapie hat sichtbare Spuren hinterlassen. Sie ist eine kleine Patientin von Stefanie Czyba.
Der heute 35-Jährigen war schon während ihrer Ausbildung klar, dass es sie in die Kinderkrankenpflege zieht. Später hat sie sich zur Fachkraft für onkologische Pflege weitergebildet. Wenn sie Außenstehenden von ihrem Arbeitsort erzählt, „dann senkt sich deren Blick beim Begriff Kinderkrebsstation nach unten“, sagt sie. Sie selbst will hier arbeiten, ganz bewusst. Für ihre Tätigkeit „braucht es Einfühlungsvermögen und eine gute Beobachtungsgabe“, erläutert sie. Das heißt zu erkennen: Weint da jemand, weil ihm unwohl ist? Würde Aromatherapie wie ein mit Zitronenöl beträufeltes Riechstäbchen gegen Übelkeit helfen? Als Pflegefachkraft ist sie wichtige Bezugsperson auch für die Eltern. „Im Patientenzimmer sind sie stark, aber sie wollen auch mal Ängste zeigen oder Fragen stellen“, erklärt Stefanie Czyba. Eng und vertrauensvoll ist auch die Beziehung, die Kinder zu ihr aufbauen. Sie wird nie den kleinen Jungen zu Beginn ihrer Tätigkeit vergessen, der sie mit einem Ring und einem Heiratsantrag überrascht hat. Zu den Ritualen in der Kinderonkologie gehört, dass jedes Kind anfangs ein langes Nylonband erhält. Zunächst wird eine Startperle aufgefädelt, eine rote Kugel gibt es als Belohnung für einen Piks, eine hellrote für einen zentralvenösen Katheter, eine türkise für Augentropfen.
So entsteht eine „Mutperlenkette“, am Ende der Therapie ist sie bei manchen Kindern über einen Meter lang.
Ständig muss die Fachpflegekraft umswitchen: Sie legt dem Teddy eines Fünfjährigen einen Verband an. Teenager dagegen haben andere Bedürfnisse: „Jungen daddeln oft und wollen wenig reden. Mädchen sorgen sich, weil ihre Haare ausfallen können.“ Stefanie Czyba: „Dann berate ich, weil man zum Beispiel auch mit einem Tuch um den Kopf schön aussehen kann.“ Eine junge Frau habe so erfolgreich damit experimentiert, „dass sie am Ende gestrahlt hat“.
„Man bekommt viel zurück“
Gerrit Heim trägt bei seiner Arbeit Jeans, ein schwarz-weiß kariertes Hemd, Turnschuhe. „Ein Kittel würde nur Abstand schaffen.“ Er hat sich nach seinem Zivildienst in der Psychiatrie einer Fachklinik in Königslutter und der Ausbildung zum Gesundheits- und Krankenpfleger zu einer zweijährigen Fachweiterbildung für die Psychiatrie entschlossen. „Mich fasziniert die Wechselwirkung von Körper und Geist“, erklärt er. Heim hat sich Fachwissen angeeignet, „sonst versteht man die verschiedenen Störungsbilder nicht“. Er kennt die Wirkung von Psychopharmaka, er hat gelernt, „wie man einem psychisch kranken Menschen gegenübertritt“.
Darauf muss der 33-Jährige sich einstellen, denn der oder die Erkrankte kann manisch-depressiv sein, an einer Psychose leiden oder ein Suchtproblem haben. Gerrit Heim verkörpert Offenheit und Herzlichkeit. „Wir haben es mit schutzsuchenden Menschen zu tun. Wenn diese einen Rückfall haben und wieder zu uns kommen – dann ist das ihrer Krankheit geschuldet“. Er erklärt: „In der Psychiatrie haben wir es nicht mit einem Schnitt zu tun, der verheilt. Wir beschäftigen uns mit ganzen Lebensgeschichten.“ Da gilt es, Vertrauen zu schaffen, auch Zuversicht zu vermitteln. Als besonders befriedigend empfindet er, wenn er bei Gesprächsrunden seinen Patientinnen und Patienten wichtiges Wissen über ihre Erkrankung an die Hand gibt. „Anders könnten sie Symptome und Gefühle nicht einsortieren.“ Er sagt: „Man bekommt viel zurück, wenn man jemandem geholfen hat.“
Gerrit Heim legt Wert auf einen verständnisvollen Umgang, „das gibt Patientinnen und Patienten die Sicherheit, auch etwas von sich preisgeben zu können.“ Aber: „Wir hatten auch schon die Situation, dass jemand gewalttätig wurde. Da muss man gut entscheiden, ob dieser Patient auf einer offenen Station richtig aufgehoben ist.“ Wer in der Psychiatrie arbeitet, meint Heim, der brauche Charakterstärke: „Man muss empathisch sein und gleichzeitig eine gute Selbstreflexion besitzen.“
Mehr Zeitaufwand, viel Respekt
Jens Eilmes ist seit 2008 in der Geriatrie tätig – und zwar als Fachpflegekraft für aktivierend-therapeutische Pflege. Er tut dies aus tiefer Überzeugung: „Wir verfolgen einen multimodalen Ansatz, um alte Menschen so zu befähigen, dass sie wieder in ihrer vertrauten Umgebung leben können.“ Dabei arbeitet ein großes Team zusammen, es besteht aus medizinischem Fachpersonal sowie Fachleuten für Physiotherapie, Logopädie und Ergotherapie. Eilmes, der die Pflegefachleitung innehat und außerdem als Praxisanleiter tätig ist, mag die flachen Hierarchien und dass die Kompetenz jedes Einzelnen wertgeschätzt wird. Für seine Arbeit mit den Patientinnen und Patienten hält er Geduld und Respekt für unabdingbar, Kompromissbereitschaft und Verantwortungsgefühl. „Kürzlich hatten wir eine alte Dame hier, die war 101 Jahre alt.“
In der Geriatrie werden Patientinnen und Patienten nach Schenkelhalsbrüchen versorgt, nach Schlaganfällen, mit komplexen internistischen Erkrankungen. Doch während eine Lysebehandlung in der Klinik für Neurologie darauf abzielt, ein Blutgerinnsel im Kopf aufzulösen, steht danach die sogenannte aktivierende therapeutische Pflege in der Geriatrie im Mittelpunkt. „Das kann für die Betroffenen zunächst anstrengend sein. Aber es ist auch befriedigend, wenn sie beispielsweise feststellen: Ich kann mir tatsächlich den Oberkörper waschen. Ich kann mich wieder hinstellen und mit Hilfsmitteln mehrere Schritte gehen.“ Auch für die Pflegenden ist dies herausfordernd. „Es kostet Zeit, jemanden im Bad oder bei der Nahrungsaufnahme anzuleiten zu wieder mehr Selbstständigkeit.“
Der 37-Jährige geht behutsam mit Patientinnen und Patienten um: „Wenn ein alter Mensch bei der Körperpflege in einer anderen Reihenfolge als üblich verfährt, warum soll ich ihn dann belehren? Und wenn jemand dement ist, bringt es nichts, ihn oder sie mit Überredungskraft in die Wirklichkeit zerren zu wollen. Da ist es besser, als Pflegefachkraft in dieser Welt mitzuschwimmen, das schafft mehr Wohlbefinden bei Patientinnen und Patienten.“
Pflegefachkräfte entwickeln Persönlichkeit gezielt
Empathie, Kommunikation, aufmerksame Wahrnehmung in zwischenmenschlicher Hinsicht – all das ist im Krankenhausalltag gefordert. Das Klinikum Braunschweig legt bei seinen Mitarbeitenden auch Wert auf sogenannte Soft Skills, also Kompetenzen im Umgang mit anderen. Modul 6 bei den Fort- und Weiterbildungsangeboten dient der Persönlichkeitsentwicklung von medizinischem Personal. Die Seminare dauern ein bis zwei Tage, die Themen sind vielfältig, hier zwei Beispiele: Sie heißen „Emotional Labour (Emotionale Arbeit) – Rollen und Gefühle – Kommunikation unter schwierigen Bedingungen“ oder auch „Deeskalationstraining – Umgang mit Aggressionen und Konflikten im beruflichen Alltag“.