Schulungen und Sicherheitsmaßnahmen

Gewalt im Krankenhaus

Wut, Beschimpfungen, sogar Schläge: Gewalt im Krankenhaus gegen Pflegekräfte sowie gegen Ärztinnen und Ärzte kommt nahezu täglich vor. Das Klinikum Braunschweig setzt auf Schulungen, verstärkte Sicherheitsmaßnahmen und Gespräche als Nachsorge.

Autorin: Prem Lata Gupta

Prof. Dr. Thomas Gösling (Mitte): Sein Kollege Florian Brand und seine Mitarbeiterin Katrin Kastull kamen ihm bei der Prügelattacke zu Hilfe.

Bei der Untersuchung im Computertomografen kommt der bewusstlose Mann wieder zu sich. Diagnose: eine leichte Gehirnerschütterung, eine Platzwunde im Gesicht, Blutergüsse, Prellungen. Doch der Mann ist kein Patient, der ins Krankenhaus eingeliefert worden ist. Es handelt sich um Prof. Dr. Thomas Gösling, Chefarzt der Unfallchirurgie und Orthopädie des Klinikums Braunschweig. Er hat die Gewalt im Krankenhaus erlebt. Seine Verletzungen entstanden, weil ein Vater ausrastete und wie von Sinnen auf den Arzt einprügelte und eintrat: Sein Sohn war mit dem Fahrrad gestürzt, er hatte – wie auch andere Patientinnen und Patienten in der Notaufnahme – warten müssen, außerdem wurde zeitgleich ein Schwerstverletzter eingeliefert.

Bevor es losging mit der Prügelattacke auf dem leeren Krankenhausflur, hatte der Angreifer bereits gepöbelt. „Er drohte, er würde auf mich warten, dann wäre ich dran“, so Prof. Dr. Thomas Gösling. An den Rest und vor allem die vielen Schläge kann er sich nicht erinnern. Das wurde ihm von Zeuginnen und Zeugen überliefert: Seine beiden Sekretärinnen waren zu Hilfe geeilt. Eine von ihnen, Katrin Kastull, legte sich sogar über sein Gesicht, um den Kopf vor weiteren Hieben und Tritten zu schützen. Florian Brand, ein Arztkollege, konnte den Angreifer schließlich stoppen, kurz darauf trafen die alarmierten Polizeikräfte ein.

Maik Pritschke (links) und Michael Papendieck schulen medizinische Teams und organisieren bei Angriffen die Nachsorge.

Konflikte nicht eskalieren lassen

Es ist ein besonders dramatischer Zwischenfall. Bundesweit beklagen Mitarbeitende von Kliniken einen zunehmend rauen Umgangston oder gar tätliches Verhalten durch Patientinnen und Patienten oder auch deren Angehörige. „Angriffe gehören inzwischen zum Tagesgeschäft“, sagt Michael Papendieck, Mitarbeiter des Deeskalationsmanagements des Klinikums. Und sein Kollege Maik Pritschke erklärt: „Sehr oft geht es um Beleidigungen, um Machtspielchen, das bewusste Umgehen von Regeln.“ Er und Papendieck halten Kurse im Klinikum ab und spielen mit den Teilnehmenden bereits erlebte Konfliktsituationen durch – diese Lehrgänge gehören zum Fortbildungsangebot des Klinikums.

Oder die beiden Experten schneiden ihre Angebote bei Bedarf auf ein Team zu: Beispielsweise schulen sie medizinisches Personal darin, wie es bei Wortwechseln mit aufgebrachten Menschen angemessen reagiert. „Unsere Rolle besteht nicht darin, bei Konflikten selbst dazwischenzugehen“, erläutert Michael Papendieck. „Uns geht es in erster Linie um Prävention.“ Die beiden schildern, wie sich alltägliche Gewalt im Krankenhaus ausdrückt. Zum Beispiel: Ein Autofahrer stellt sich auf eine der Zufahrten am Standort Celler Straße. Eine Mitarbeiterin der Pforte fordert ihn auf, seinen Wagen dort wegzufahren. Er rea-
giert mit wüsten Beschimpfungen. „Oft wissen Mitarbeitende nicht, was sie dürfen. Die Kollegin hätte die Polizei rufen dürfen, denn der Autofahrer hat Rettungsfahrzeuge behindert. Stattdessen hat sie sich in eine Auseinandersetzung
hineinziehen lassen.“

Am Tresen hinter schützendem Glas: Andrea Isensee, stellvertretende Stationsleitung, erlebt häufig Pöbeleien.

Viele sind sich selbst der Nächste

Maik Pritschke erzählt eine weitere Geschichte, sie ist noch nicht lange her. Als wegen Corona-Infektionen die Besuchsregeln wieder verschärft wurden, lautete die Vorgabe: Nur eine Besucherin oder ein Besucher pro Patientin oder Patient. „Und was ist passiert? Ein Angehöriger hat draußen Schmiere gestanden, während sich im Patientenzimmer vier Familienmitglieder befanden.“ Seit den pandemiebedingten Einschränkungen, sagt Pritschke, sei „eine gewisse Egozentrik eingekehrt“. Das ist auch in der Notaufnahme an der Salzdahlumer Straße spürbar. Christoph Duesberg als Leitender Oberarzt registriert eine Anspruchshaltung: „Etliche Patientinnen und Patienten empfinden sich selbst als dringendsten Fall.“

Auch seine Kollegin Andrea Isensee als stellvertretende Stationsleitung erlebt Gewalt gegen Pflegende. „Wir müssen immer wieder Beschimpfungen aushalten.“ Dazu Kraftausdrücke, vulgäre Bemerkungen oder auch Beschuldigungen. „Gerade ist am Wochenende eine Frau mit Fieber zu uns gekommen.“ Sie hatte erst den Notruf gewählt, dort hatte man ihr den ärztlichen Bereitschaftsdienst (Telefonnummer116 117) empfohlen, dieser wiederum verwies die Patientin nach kurzem Gespräch an die Notaufnahme. „Als wir sie dann bei uns ein paar Türen weitergeschickt haben, dort hat die Kassenärztliche Vereinigung – sie ist für die leichteren Fälle zuständig – ihre eigenen Behandlungsräume, waren die Frau und ihr Begleiter hellauf empört.“

Christoph Duesberg

Leitender Oberarzt in der Notaufnahme

Manche Räume der Notaufnahme sind durch Codeschlösser geschützt – als Rückzugsorte bei Gefahr.

Codeschlösser und Notrufsysteme

Ängstliche Menschen, deren Wut in Aggression umschlägt, sind das eine. Das andere sind Momente, für die man sich nur schwer wappnen kann. Wie die Situation, als einem Sicherheitsmitarbeiter im Wartetrakt der Notaufnahme an der Salzdahlumer Straße von hinten eine Schreckschusspistole an den Kopf gehalten wurde. „Ich mach dich fertig“, drohte der Angreifer. Der Security-Mann ließ sich fallen, dabei ging auch die Waffe zu Boden. Der Geistesgegenwart eines Patienten und mehrerer Ärzte ist es zu verdanken, dass der Täter niedergerungen werden konnte. Zu ihnen gehörte auch Christoph Duesberg, Leitender Oberarzt. Wie sich herausstellte, war der Angreifer psychisch gestört – und eben auch gefährlich. Genauso wie ein alkoholisierter und unter Drogeneinfluss stehender Mann, der um sich schlug und ausgerechnet den Sicherheitsmitarbeiter würgte, der kurz zuvor mit einer Pistole bedroht worden war. „Dieser Kollege arbeitet hier nicht mehr“, sagt Christoph Duesberg.

Das Klinikum als Arbeitgeber hat Schutzmaßnahmen veranlasst: Bereits jetzt ist der Tresen in der Notaufnahme vollverglast und mit Gegensprechanlage ausgestattet, „weil aggressive Leute hier einfach darübergegriffen und das Personal attackiert haben“, so Duesberg. Außerdem wurden Räume für Mitarbeitende aus der Pflege und der Ärzteschaft mit Codeschlössern gesichert. Sie dienen als Rückzugsorte.

Als Nächstes sollen Notrufsysteme angeschafft werden, dann reicht ein Knopfdruck, um Kolleginnen und Kollegen zu alarmieren. Trotz der bestürzenden Vorkommnisse wirkt Christoph Duesberg gelassen: „So etwas habe ich schon öfter erlebt. Ich fühle mich nicht belastet deswegen.“ Und auch Prof. Dr. Gösling hat den Angriff auf sich verarbeitet: „Dankbar“ sei er, dass Schlimmeres abgewendet wurde. Sie habe „einfach reagiert“, sagt seine Sekretärin, die ihn vor den Schlägen schützte. Wie aufgewühlt sie gewesen sei, habe sie erst am Abend jenes Tages gespürt.

Psychologische Unterstützung hielten danach beide nicht für nötig, obwohl sie klinikintern angeboten wurde. Er sei mehr der Typ „aufstehen, sich schütteln, weitermachen“, erklärt der Chefarzt. Nach einem Tag Pause war er wieder im Dienst.

Meldesystem für Mitarbeitende

Im Intranet des Klinikums ist ein Meldesystem hinterlegt. Mitarbeitende, die beschimpft oder angegriffen worden sind, können dokumentieren, was genau passiert ist, wo und wann, ob die Aggression von Erkrankten oder ihrer Begleitung ausgegangen ist. Auch soll die Person, die sich meldet, den Grad ihrer persönlichen Belastung durch den Vorfall auf einer Skala von 0 bis 10 angeben. Das System kann anonym genutzt werden oder mit Namensnennung. Rund 300 Vorfälle zählt das Deeskalationsmanagement jährlich. „Etwa ein Drittel der Betroffenen sucht den Kontakt zu uns, Tendenz steigend“, erklärt Maik Pritschke, der die Abteilung mit aufgebaut hat.

Er und sein Kollege Michael Papendieck haben früher als Fachpfleger in der Psychiatrie gearbeitet, sie verfügen über einen Trainerschein in Deeskalation und sind fortgebildet in psychosozialer Notfallversorgung für Einsatzkräfte. Seit 2018 ist das Deeskalationsmanagement im Klinikum fest etabliert. Maßnahmen, die der Sicherheit des Personals dienen wie Codeschlösser oder Notrufsysteme, Schulungen und die Nachsorge seien die wichtigsten Bausteine, um Aggression sowie ihren Folgen wirksam zu begegnen, sagen beide. Das Angebot, nach Vorfällen darüber zu sprechen und sich mit den Fachleuten auszutauschen, wird zunehmend in Anspruch genommen. Es hilft, das Erlebte besser zu verarbeiten. „Weil man sich wahrgenommen und ernst genommen fühlt.“

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