Bunkerführung Klinikum Braunschweig

Schutz im Bunker

Wer eine Bunkerführung auf dem Klinikgelände Celler Straße erlebt, macht eine Zeitreise. Hier fanden kranke Menschen und Mitarbeitende des Krankenhauses vor Bombenabwürfen Schutz.

Autorin: Prem Lata Gupta

Noch sind die Wände kahl: Wenn es nach Bunkerführer Dr. Christian Werner geht, würde er in dem alten Gebäude gern eine Ausstellung zum Thema Schutzraum zeigen.

Wenn die Sirene heulte, dann blieben noch 20 Minuten Zeit, um sich in Sicherheit zu bringen. Das ist nicht viel, um bettlägerige und operierte Patientinnen und Patienten von einem Gebäudeteil in einen anderen zu schaffen. Doch genau das passierte während des Zweiten Weltkriegs ungezählte Male – bis der Bunker zwischen der damaligen chirurgischen Klinik und der Frauenklinik ab November 1944 zur Dauerheimstatt wurde, weil die anderen Krankenhausgebäude an der Celler Straße fast alle durch Bombenangriffe zerstört waren.

Doch der Bunker steht da, auch heute noch, fünf Stockwerke hoch und kaum wahrnehmbar als Klinikgebäude. Wahrscheinlich, weil keine Fenster zu sehen sind:

Denn ein Bunker hat keine Fenster, jedenfalls nicht im üblichen Sinn. Wer von innen einen Blick nach draußen erhaschen will, schaut durch eine der röhrenartigen Öffnungen, deren Durchmesser gerade mal zehn Zentimeter beträgt. Tageslicht ist Mangelware in dieser Schutz­ein­rich­tung, die Welt draußen scheint ewig weit weg. Dr. Christian Werner ist Historiker, Lehrer an der Berufsfachschule Pflege und außerdem verantwortlich für Bunkerführungen. Wenn er eine Gruppe von Interessierten in das Gebäude bittet, dann lautet sein Arbeitsauftrag. „Sie sollen herausfinden, was sie individuell am meisten vermissen.“ Am häufigsten hört er, wenn alle wieder draußen stehen: das Licht der Sonne, das Grün der Bäume, die frische Luft oder auch der blaue Himmel.

Blick auf den Bunker vom sogenannten Ringgleis aus – einem viel genutzter Rad- und Spazierweg in Braunschweig.

Wochenlang hinter dicken Mauern

Besonders gern macht er Führungen für angehende Pflegefachkräfte. Wer ausschließlich den Krankenhausalltag von heute kennt, der soll sich die Situation im sogenannten Operationsbunker während des Zweiten Weltkriegs vorstellen: „Ab 1944 waren Patientinnen und Patienten teilweise über Tage, ja manchmal sogar wochenlang hier untergebracht. Das zu wissen, erzeugt auch Demut.“

Dr. Christian Werner ist ebenfalls dankbar, denn er hat die Nachfolge des Mannes angetreten, der alles über Bunker in Braunschweig wusste: Wolfgang Ernst, der inzwischen verstorben ist, hat jahrelang Quellenstudium betrieben, Fotos zusammengetragen, Zeitzeugen befragt. Daraus entstand ein Buch mit dem Titel „über lebensorte – Bunker in Braunschweig von der Planung bis zur Gegenwart“. Vor allem hat Wolfgang Ernst ebenfalls Führungen durch Bunker gemacht, auch durch den an der Celler Straße. Seine Arbeitsmaterialien waren im Besitz der Witwe (siehe Kasten auf Seite 14), sie hat sie dem Klinikum überlassen. Nun nutzt Dr. Christian Werner die sorgfältig aufbereiteten Unterlagen. Und er hat bei seinen Rundgängen Beeindruckendes zu zeigen und zu berichten: etwa einen von vier Fahrstühlen, groß genug für Krankenbetten, abschließbar und (meistens) noch funktionstüchtig. Telefon hatten sie hier, Heizung, außerdem Frischluftversorgung mit Filteranlagen, die sogar gegen Giftgas geschützt hätten. Auch Operationsräume und Kreißsäle gab es, Zimmer für frisch Operierte. Frauen, die ihr Kind im Bunker zur Welt gebracht hatten, waren in Zweibettzimmern mit Wickelkommode untergebracht. Man sieht Lichtschalter aus Bakelit, alte Beschriftungen an Türen wie „Saubere Wäsche und Verbandsstoffe“, ein gekachelter OP-Saal dient inzwischen als Aufbewahrungsort für Matratzen des heutigen Klinikums.

Mit 2428 Quadratmetern Nutzfläche war der Luftschutzbunker für 1020 Personen angelegt, es gab 870 Liegeplätze und 150 Sitzplätze. Nach der beinahe vollständigen Zerstörung der regulären Krankenhausgebäude war die Schutzeinrichtung laut Dr. Christian Werner aber zwei- bis dreifach überbelegt. Wie knapp es mit dem Platz aussah, zeigt ein Blick in ein original erhaltenes Zwölfbettzimmer, in dem Pritschen übereinander angeordnet sind. „Wenn ich mit maximal sechs Besuchern in diesem kleinen Raum stehe und die Luft nach wenigen Minuten stickig wird, dann wird allen klar, wie unfassbar beklemmend der Alltag in diesem Klinikbunker gewesen sein muss.“

Dr. Christian Werner

Bunkerführer und Lehrer

Ein Originalzimmer: Zwölf Personen sollten hier untergebracht werden.

Keine Beschädigung durch Angriffe

Und doch bot der Bunker Sicherheit, seine Außenwände sind 1,10 Meter dick, die Stahlbetonschutzdecke und die Betongrundplatte hatten sogar eine Stärke von 1,40 Metern. Wenn Luftangriffe ganz in der Nähe stattfanden, so haben es Zeitzeugen berichtet, schwankte der Riesenklotz wie ein „Schiff im Sturm“. Doch das Gebäude blieb intakt, das war auch seiner besonderen Bauweise, der sogenannten Braunschweiger Bewehrung, zu verdanken. Sie zeichnet sich durch hohe Festigkeit und Stabilität aus und war spätestens seit Kriegsbeginn an der Technischen Hochschule Braunschweig entwickelt worden. Ab 1941 galt die Braunschweiger Bewehrung als Standardbauweise für Luftschutzbunker in Deutschland.

Auch nach Kriegsende übrigens diente der Bunker inmitten der umliegenden zerstörten Flächen weiterhin der medizinischen Versorgung. Im Kreißsaal dieses Gebäudes wurden noch bis zum Jahr 1956 Kinder geboren. Heute ist der Bunker unter anderem Lager und Archiv, aber eben auch authentischer Ort, der wegen seiner früheren lebensrettenden Funktion verschiedenste Besuchergruppen interessiert: junge und alte Mitbürgerinnen und Mitbürger, Azubis und die Geschäftsleitung des Klinikums oder wie neulich den Katastrophenschutz der Stadt Braunschweig.

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Personen sollte der Bunker schützen.

Witwe des Bunkerführers erinnert sich

Christa Ernst, Witwe des ehemaligen Bunkerführers Wolfgang Ernst, erzählt: „Als gelernter Fernmeldetechniker hat mein Mann während seiner beruflichen Tätigkeit Azubis ausgebildet. Eine seiner Stärken war es, Wissen gut vermitteln zu können. Eine andere bestand in seinem Interesse an historischen Zusammenhängen und Gebäuden. Als er früher als üblich in Rente ging, widmete er sich mit großem Elan dem Thema Bunkerbau in Braunschweig. Er hat dafür sehr viel Quellenarbeit betrieben, er suchte die Begegnung mit Zeitzeugen. Mein Mann stieß auf unveröffentlichte Fotos und er machte Interviews. Ich unterstützte ihn dabei, und wenn ich selbst auf eine gute Quelle stieß, sagte ich mir: Seine Freude darüber, das ist auch meine Freude. Nach jahrelanger Recherche entstand aus seinen Nachforschungen das Buch ‚über lebensorte – Bunker in Braunschweig von der Planung bis zur Gegenwart‘. 24 Luftschutzanlagen sind darin beschrieben. Es erschienen mehrere Auflagen, weil es immer genügend Abnehmer dafür gab.

Ich als Ehefrau habe im Vorfeld die Texte Korrektur gelesen und ich war sein erstes Publikum, wenn er Vorträge erarbeitete. Diese Veranstaltungen fanden monatlich im Altstadtrathaus und in etlichen Schulen statt. Auch die Führungen durch Bunker, die damals in der Tagespresse angekündigt wurden, stießen auf lebhaftes Interesse. Der sogenannte OP-Bunker an der Celler Straße hat meinem Mann besonders am Herzen gelegen. Wenn die Besuchergruppen sehr groß waren, habe ich ihn begleitet und unterstützt. Später hat sich mein Mann dem Kanalsystem der Stadt, auch unter geschichtlichen Aspekten, gewidmet. Dafür ist er gemeinsam mit Fachleuten in die Tiefe gestiegen und hat zu diesem Thema drei Bücher geschrieben. Sein Engagement als Hobbyhistoriker ging so weit, dass es sozusagen ein Vollzeitjob war.“

Informative Links

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