Viszeralchirurgie

Mit OP-Verfahren gegen Krebs

Bösartige Tumoren im Bauchraum erfordern eine individualisierte Therapie. Prof. Dr. Tim R. Glowka, neuer Chefarzt der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie, und sein Team stimmen sich eng mit anderen Fachdisziplinen ab und nutzen modernste OP-Verfahren.

Autorin: Prem Lata Gupta

Ekkehard Küster und seine Ehefrau Brigitte freuen sich über alle Fortschritte nach der OP und der Anschlussheilbehandlung.

Theodor Storm starb 1888. Ekkehard Küster lebt in der Gegenwart. Er entschied, sich für weitere Untersuchungen und zur Behandlung ans Klinikum Braunschweig zu wenden, auch weil es hier ein zertifiziertes Magenkrebszentrum gibt. Die nun folgende Diagnostik ergab, dass sich das Karzinom innerhalb des Organs ausgebreitet hatte.

Als sein Fall in der Tumorkonferenz erörtert wurde, lautete die Empfehlung der beteiligten Ärztinnen und Ärzte: Vor einem chirurgischen Eingriff sollte eine Chemotherapie erfolgen, um den Krebs möglichst zu schrumpfen. Eine erfolgreiche Strategie, wie sich herausstellte, bei der Operation im Juli dieses Jahres wurde dem 79-Jährigen dennoch der gesamte Magen entfernt. „Außerdem hat man 54 Lymphknoten untersucht. Als man mir mitteilte, dass keine weitere Krebszelle gefunden worden sei, kamen mir die Tränen“, sagt Ekkehard Küster.

Immer personalisierte Behandlungspläne

Für den Operateur ist dies das bestmögliche Ergebnis, das zu erzielen war. „Dieser Patient hat tatsächlich die Chance, vollständig geheilt zu werden“, erklärt Prof. Dr. Tim R. ­Glowka. Einer der Schwerpunkte des Chefarztes ist die kurative Behandlung von Krebs an Organen wie Speiseröhre, Leber, Magen, Bauchspeicheldrüse und Darm. Hierbei arbeitet Prof. Dr. Glowka, dem nach eigenen Worten „die große Vis­ze­ral­on­ko­lo­gie sehr am Herzen liegt“, mit anderen Fachdisziplinen zusammen.

Das heißt, dass er als Chirurg nicht allein ist: Zum sogenannten Tumor Board, die internationale Bezeichnung für Tumorkonferenz, gehören Fachrichtungen wie Onkologie, Strahlentherapie, Gastroenterologie, Pathologie. Gemeinsam entwickeln sie Behandlungspläne, in die Details jeder einzelnen Krebserkrankung einfließen. „Was wir machen, ist hoch individualisiert“, so Prof. Dr. Glowka. Nicht nur die Genetik der Krebs­er­kran­kung gibt Hinweise auf die bestmögliche Therapie, auch Alter, körperliche Verfassung und das Selbstverständnis der Patientin oder des Patienten fließen in die Überlegungen der beratenden Fachleute ein. „Angenommen, jemand hat Magenkrebs und dazu bereits eine Metastase an der Leber, ist aber im mittleren Alter und sehr therapiewillig: Dann kann eine individualisierte Option sein, vor der Magen-OP zunächst eine aggressive Chemotherapie zu machen und nach der Operation des Primärtumors die Metastase anzugehen. Zu dem Thema Oligometastasierung – nur sehr wenige Metastasen in nur einem Or­gan – laufen aktuell viele Studien.“

Der Chefarzt der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie am Klinikum Braunschweig verweist darauf, dass solch eine passgenaue Vorgehensweise „eine große Stärke hier am Haus ist“. „Dies ist nicht überall so. Einige Kliniken arbeiten sehr strikt Leitlinien ab, ohne den individuellen Fall hinter der Erkrankung zu sehen. Natürlich richten wir uns am Städtischen Klinikum auch nach den Leitlinien, allerdings kann man in begründeten Fällen auch eine Variante wählen, wenn ein sehr wahrscheinlicher Nutzen für die Patientin oder den Patienten zu erwarten ist.“ Voraussetzung dafür sei die einhellige Zustimmung dafür im gesamten Team.

Chirurgie-Chefarzt Prof. Dr. Tim R. Glowka (rechts) und Jiro Yazawa Pavon, Assistenzarzt der Neurochirurgie, bei einer Visite auf der Intensivstation.

Prof. Dr. Tim R. Glowka

Chefarzt der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie des Klinikums Braunschweig

Enger Kontakt zu niedergelassener Onkologin

Prof. Dr. Glowka unterstreicht die sektorenübergreifende Zusammenarbeit mit den niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen. Im Falle Küster hat ihn die niedergelassene Onkologin aus Peine angerufen. Bei ihr fand zunächst ambulant die vorgelagerte Chemotherapie statt. Und die Kollegin hat per Zoom-Anwendung an Tumorkonferenzen des Klinikums teilgenommen. Hausärztinnen und Hausärzten steht dieses niedrigschwellige Angebot ebenfalls zur Verfügung. „Sie haben bereits einen kurzen Draht zu Patientinnen und Patienten. Wenn wir gut mit diesen Kolleginnen und Kollegen zusammenarbeiten, dann ist das auch eine vertrauensbildende Maßnahme für kranke Menschen.“

Der Mediziner verweist auf Fortschritte und neue Erkenntnisse in der Therapie bösartiger Erkrankungen. Selbst bei schwerwiegenden Diagnosen wie beispielsweise Krebs der Bauchspeicheldrüse, der vor 20 Jahren noch als unheilbar galt, gebe es mehr Hoffnung als früher. „Es hat sich ein Paradigmenwechsel vollzogen.“ Dank verbesserter Möglichkeiten in der Chirurgie und aufgrund eines multimodalen Behandlungskonzeptes, das andere Fachrichtungen eng einbezieht, ließen sich inzwischen Fünf-Jahre-Überlebensraten von bis zu 45 Prozent erreichen.

Der robotischen Chirurgie gehört die Zukunft, so Prof. Dr. Tim R. Glowka. Er hat bereits jahrelange Erfahrung damit.

Verändertes Essverhalten nach der OP

Kleinere Schnitte, im Volksmund Schlüssellochtechnologie genannt, erlaubten schonendere Eingriffe. „Besonders die robotische Chirurgie bringt hier noch einmal einen Schub nach vorn.“ Auch die enge Zusammenarbeit von Chirurgen und Fachleuten aus der Endoskopie innerhalb der Viszeralmedizin erlaubt modernste hybride Behandlungsverfahren. Einerseits wird so radikal wie nötig operiert, aber, wenn es geht, minimalinvasiv und falls möglich sogar organerhaltend.

Neben seiner klinischen Tätigkeit, die sich regelhaft im OP-Saal abspielt, will Prof. Dr. Glowka Änderungen vorantreiben. Dazu zählt der Anspruch, die Frauenquote im Fachbereich Chirurgie zu steigern. „Angesichts der Tatsache, dass zwei Drittel der Medizinstudierenden weiblich sind, bedeutet dies: Nachwuchsförderung ist Frauenförderung.“ Und auch wissenschaftlich will er – genau wie in Bonn – weiterarbeiten (siehe Kasten). So leitet er eine Studie, an der sich deutschlandweit mehrere Maximalversorger und Unikliniken beteiligen; ab Ende des Jahres, so sein Ziel, auch das Klinikum Braunschweig.

Was seine chirurgischen Fähigkeiten und das bisherige Ergebnis der Behandlung angeht, sind Patient Ekkehard Küster und dessen Frau hochzufrieden. Zwar standen nach dem Krankenhausaufenthalt noch eine Anschlussheilbehandlung und eine Chemotherapie an, doch der Patient schaut nach vorn. „Ich muss sehr lange kauen, häufiger und kleinere Mahlzeiten als früher einnehmen. Aber das nehme ich in Kauf. Ich will wieder gesund werden.“

Im Fachbereich Chirurgie arbeiten vorwiegend Männer als Ärzte. Der neue Chefarzt möchte den Frauenanteil erhöhen.

Besprechung im Team: Jede Erkrankung und ihre Behandlung wird auch innerhalb der Chirurgie individuell erörtert.

Nikotinpflaster gegen Nebenwirkungen

Seit April ist er am Klinikum Braunschweig tätig, zuvor waren es 20 Jahre am Universitätsklinikum Bonn. Kurz nach dem Wechsel zum Maximalversorger in Niedersachsen erlangte PD Dr. Tim R. Glowka seine außerplanmäßige Professur an der Uni Bonn. Im Jahr 2024 ist er wegen seiner hohen Expertise außerdem Präsident des Deutschen Pankreasclubs. Pankreas ist die lateinische Bezeichnung für Bauchspeicheldrüse. Und um genau dieses Organ geht es auch in der TransNiDeG-Studie, die er leitet und die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird. Hintergrund ist die Tatsache, dass ein Karzinom der Bauchspeicheldrüse nur durch eine Operation kurativ behandelt werden kann. Dennoch ist wegen der insgesamt schlechten Prognose eine anschließende Chemotherapie notwendig, um die Überlebensrate zu steigern. Da aber viele Patientinnen und Patienten unter Komplikationen nach dem Eingriff leiden, am häufigsten unter einer Entleerungsstörung des Magens, macht sich die TransNiDeG-Studie ein Phänomen zunutze – nämlich dass ausgerechnet Raucherinnen und Raucher weniger oft unter dieser Störung leiden. Mit der Studie, in der die Teilnehmenden ein Nikotinpflaster auf dem Körper tragen, soll herausgefunden werden, ob diese Maßnahme gegen die Komplikation der Magenentleerungsstörung hilft und sich somit womöglich der Therapieerfolg verbessern lässt. An der Studie beteiligen sich bisher unter anderem die Universitätskliniken Bonn, Düsseldorf, ­Aachen und Göttingen und das Sana Klinikum Berlin. Prof. Dr. Tim R. Glowka strebt an, auch das Klinikum Braunschweig einzubinden.

Hier ist er kürzlich zum stellvertretenden Sprecher des Cancer Centers Braunschweig gewählt worden. Es ist ihm ein Anliegen, in Zusammenarbeit mit anderen Chefärztinnen und Chefärzten am Klinikum Braunschweig ein Studienzentrum zu etablieren. Durch strukturierte wissenschaftliche Arbeit und innovative Konzepte würden auf diese Weise noch mehr Patientinnen und Patienten als bisher neue, vielversprechende Therapieansätze zugänglich gemacht.

Informative Links

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