Hörsturz Bei Hörverlust die Ruhe bewahren

Was tun bei Hörsturz? Ein abrupter oder auch schleichender Hörverlust ist ein Schock für Betroffene, kann jedoch in vielen Fällen behandelt werden – sofern man die Ursache findet. Prof. Dr. Andreas Gerstner, Chefarzt der Hals-, Nasen- und Ohrenklinik, über Diagnostik und neue Therapieansätze.

Autorin: Sabrina Mandel

Foto: Daria Kulkova | iStockphoto.com

Den Verlust des Hörvermögens empfinden betroffene Menschen als äußerst belastend.

Wieder gut hören: So kann es gelingen

Bei einem Hörsturz ohne erkennbare Ursache könnten sowohl ein Hörgerät als auch ein Cochlea-Implantat helfen, so der Chefarzt der HNO-Klinik. Vereinfacht gesagt, wandelt bei Letzterem eine kleine Hörprothese Schallwellen in elektrische Signale um und schickt sie direkt an den Hörnerv.

Ein positiver Nebeneffekt: Weil Betroffene eines Hörsturzes nicht selten auch an einem Tinnitus leiden, werden gleich beide Krankheitsbilder behandelt. Prof. Dr. Andreas Gerstner: „Wenn Sie nach einem Hörsturz auf einem Ohr nichts mehr hören, sucht sich das Gehirn eine Beschäftigung. Als Reaktion auf die geminderte Hörfähigkeit entwickelt es Hörgeräusche, den Tinnitus. Behebt man mit einem Hörgerät oder Cochlea-Implantat den Hörverlust, verschwindet auch das Pfeifen.“

Und plötzlich wird es still: Ein schlagartiger Verlust der Hörfähigkeit resultiert bei vielen Betroffenen häufig in dem ersten Gedanken: Ein Hörsturz! Doch diese Selbstdiagnose trifft weit seltener zu, als man denken könnte. Prof. Dr. Andreas Gerstner, Chefarzt der Hals-, Nasen- und Ohrenklinik am Klinikum Braunschweig, erklärt: „Als Hörsturz bezeichnet man einen plötzlichen Verlust der Hörfähigkeit, der typischerweise nur auf einem Ohr und ohne erkennbare Ursache auftritt. Dieser sogenannte idiopathische Hörsturz ist kein Notfall. Um die Diagnose aber überhaupt stellen zu können, müssen zuvor alle anderen möglichen Ursachen für den Hörverlust ausgeschlossen werden.“

Wer etwa nach einem lauten Knall, einem hochfrequenten Piepen oder ähnlichen unvorhergesehenen akustischen Traumata nichts mehr hört, der sollte unverzüglich eine Fachärztin oder einen Facharzt aufsuchen, denn hierbei kann es sich tatsächlich um eine Schädigung im Innenohr handeln, die es abzuklären gilt.

Foto: Peter Sierigk

Prof. Dr. Andreas Gerstner
Chefarzt der Hals-, Nasen- und Ohrenklinik

Prof. Dr. Andreas Gerstner
Chefarzt der Hals-, Nasen- und Ohrenklinik

Ruhe bewahren, bei Bedarf HNO-Praxis aufsuchen

Stellt man den Verlust der Hörfähigkeit hingegen beispielsweise morgens nach dem Aufstehen oder schleichend im Laufe des Tages fest, empfiehlt Prof. Dr. Andreas Gerstner der oder dem Betroffenen, zunächst Ruhe zu bewahren: „Eigentlich müsste man erst mal abwarten, denn häufig verschwindet die Hörminderung von selbst. Aber es ist natürlich nur allzu verständlich, dass ein plötzlicher Hörverlust Angst macht, und wir Expertinnen und Experten dürfen die Verantwortung da auch nicht auf die Betroffenen übertragen.“ Trotzdem: Wenn es darum gehe, „nur“ nicht zu hören, solle man versuchen, ein bis zwei Tage abzuwarten.

Würden jedoch zeitgleich weitere Symptome wie Drehschwindel oder auch eine Gesichtslähmung auftreten, sollte unverzüglich eine HNO-Praxis aufgesucht werden, um dort die Ursache abklären zu lassen. Hier würde dann beispielsweise eine körperliche Untersuchung vorgenommen, ein Test zur Hörfähigkeit mit der Stimmgabel durchgeführt oder eine Reinton-

Audiometrie veranlasst, bei der die Wahrnehmung von Tönen per Tastendruck signalisiert werde. Weiterhin sei eine Messung der Schwingungsfähigkeit des Trommelfells zur Diagnostik sinnvoll und auch die Überprüfung der Haarzellen im Innenohr anhand von sogenannten otoakustischen Emissionen sei denkbar. Häufig würde bei derartigen Untersuchungen die Ursache der Beschwerden gefunden. Mitunter liege eine Gürtelrose im Innenohr vor, die sich mit Infusionen behandeln lasse.

Wieder gut hören: So kann es gelingen

Bei einem Hörsturz ohne erkennbare Ursache könnten sowohl ein Hörgerät als auch ein Cochlea-Implantat helfen, so der Chefarzt der HNO-Klinik. Vereinfacht gesagt, wandelt bei Letzterem eine kleine Hörprothese Schallwellen in elektrische Signale um und schickt sie direkt an den Hörnerv.

Ein positiver Nebeneffekt: Weil Betroffene eines Hörsturzes nicht selten auch an einem Tinnitus leiden, werden gleich beide Krankheitsbilder behandelt. Prof. Dr. Andreas Gerstner: „Wenn Sie nach einem Hörsturz auf einem Ohr nichts mehr hören, sucht sich das Gehirn eine Beschäftigung. Als Reaktion auf die geminderte Hörfähigkeit entwickelt es Hörgeräusche, den Tinnitus. Behebt man mit einem Hörgerät oder Cochlea-Implantat den Hörverlust, verschwindet auch das Pfeifen.“

Therapieformen bei Hörsturz haben sich gewandelt

„Wurde früher festgestellt, dass die Hörfähigkeit beeinträchtigt ist, hat man unverzüglich Infusionen verabreicht, zum Beispiel mit langkettigen Zuckermolekülen oder Cortison, um die Fließfähigkeit des Blutes zu verbessern“, erinnert sich Prof. Dr. Gerstner. „Heute weiß man, dass das nichts bringt. Selbst die Krankenkassen führen Infusionsbehandlungen mit Cortison bei einem idiopathischen Hörsturz mittlerweile als individuelle Gesundheitsleistungen, sogenannte IGeL. Das heißt, Betroffene müssen selbst zahlen, wenn die Ursache für die Hörminderung nicht geklärt ist.“ Derzeit laufe die wissenschaftliche Studie eines Kollegen aus Süddeutschland, von der das Ergebnis erwartet werde, dass eine Cortisontherapie bei idiopathischem Hörsturz wirkungslos sei.

„Wir wissen nicht, wie der Spontanverlauf ist“, so der Chefarzt. „Wir wissen nicht, ob ein Hörsturz auch ohne therapeutische Maßnahmen von allein besser werden würde. Was wir aber wissen, ist, dass man dank der technischen Entwicklung heute helfen kann. Bei einem einseitigen Hörverlust kann man ein Hörgerät nutzen oder bei vollständiger Taubheit auch ein Cochlea-Implantat setzen, das ist keine Experimentalbehandlung. Wir können ein nahezu natürliches Hörvermögen wiederherstellen.“ Kann man einem idiopathischen Hörsturz denn eigentlich vorbeugen? „Ein gesunder Lebenswandel hilft immer“, so Prof. Dr. Gerstner. „Viel trinken, nicht rauchen und ausreichend bewegen. Und natürlich ist eine zu starke Lärmexposition schlecht für das Innenohr, die sollte man vermeiden.“

2023-11-20T18:18:59+01:00
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