In Gewahrsam Pilotprojekt der Polizei Braunschweig mit Stadt und Klinikum
Die Übergriffe alkoholisierter Menschen auf medizinisches Personal nehmen zu. Ein erfolgreiches Pilotprojekt der Polizei Braunschweig, der Stadt Braunschweig und des Klinikums Braunschweig ermöglicht eine medizinische Einschätzung und Kontrolle außerhalb des Krankenhauses.
Autorin: Susanna Bauch
Funktionierende Kooperation: Jochen Rodenwaldt (von links), Leiter Einsatz Polizeiinspektion Braunschweig, Mediziner Philipp Gramatke, Andreas Höft, Ärztlicher Leiter des Rettungsdienstes, Heike Stöter, Referentin der Ärztlichen Klinikdirektion, Ärztin Gisele Wicke und Sven Gähle, Leiter des Polizeigewahrsams.
Entlastung der Notaufnahme des Klinikums, von Rettungsdienst sowie der Polizei: Das Pilotprojekt zur Ausnüchterung von stark alkoholisierten Personen im Polizeigewahrsam, das die Stadt Braunschweig gemeinsam mit der Polizeiinspektion Braunschweig und dem Städtischen Klinikum auf den Weg gebracht hat, ist für alle Beteiligten ein Gewinn. In erster Linie soll das Personal in den Notaufnahmen von aggressiven und alkoholisierten Menschen entlastet werden, welche zwar eine medizinische Betreuung benötigen, die aber nicht stationär stattfinden muss.
Ausnüchtern unter ärztlicher Überwachung in Polizeigewahrsam
Heike Stöter, Referentin der ärztlichen Klinikdirektion, hat das Projekt mitinitiiert und leitet es – seit September ist das Versuchsmodell zur Dauereinrichtung geworden. Das Braunschweiger Modell verfolgt das Ziel, nur diejenigen alkoholisierten Personen im Krankenhaus zu behandeln, die auch eine stationäre medizinische Therapie benötigen. Männer und Frauen, die lediglich ausnüchtern müssen, sollen dies unter ärztlicher Überwachung im Polizeigewahrsam tun.
„Ich suche Ärztinnen und Ärzte, die sich beteiligen, koordiniere die Einsatzpläne und bin dafür zuständig, dass im Behandlungsraum des Gewahrsams alle Medikamente sowie Geräte und Medizinprodukte zur Verfügung stehen“, sagt Heike Stöter. Werden Polizei und Rettungskräften am Wochenende Personen gemeldet, die offenbar unter Alkoholeinfluss randalieren, sich oder andere gefährden, kommen diese nicht in die Klinik, sondern in den zentralen Polizeigewahrsam an der Friedrich-Voigtländer-Straße in Braunschweig.
„Dem Einsatz- und Streifendienst ist es möglich geworden, die intoxikierten Personen eigenständig in das Polizeigewahrsam zu bringen“, betont Oberkommissar Sven Gähle, Leiter des Polizeigewahrsams. Vorausgesetzt, sie sind in erkennbar stabilem Gesundheitszustand. Die Beamtinnen und Beamten müssten nicht wie früher auf einen Rettungsdiensttransport oder ärztliches Personal im Klinikum warten, sondern könnten sich anderen Einsätzen widmen. „Da die alkoholisierten Personen durch das ärztliche Personal untersucht werden, ist zugleich ein Maximum an Rechtssicherheit hinsichtlich der Gewahrsamstauglichkeit gewährleistet.“
Philipp Gramatke, Gisele Wicke und Polizist Michael Lindemann (von links).
Stationärer Klinikaufenthalt nicht zwingend
Ärztinnen und Ärzte wie Gisele Wicke oder ihr Kollege Philipp Gramatke kümmern sich dort dann um die intoxikierten Menschen. Diese kommen nach einer Eingangsuntersuchung in einen geschützten Raum und werden mindestens alle 30 Minuten vom ärztlichen Personal kontrolliert. „Überwachung bei alkoholisierten Personen ist wichtig“, sagt Internistin Wicke. Es bestehe stets die Gefahr des Erbrechens und Erstickens. Ohne polizeiliche Begleitung geht sie aber nicht in die Zelle, auch das gehört zu den Verhaltensmaßnahmen. Wicke ist Notfallmedizinerin und hat im Intranet von dem Projekt gelesen. „Ich mag solche herausfordernden Einsätze.“
Gramatke und Wicke entscheiden bei Ankunft auch, ob die Person im Gewahrsam gut aufgehoben ist oder doch in die Klinik muss – bei den bislang 559 Fällen war das lediglich 14-mal nötig, so Gähle. Der Einsatz am Wochenende bedeutet zwei Nächte Dienst von 22 bis 8 Uhr. Manchmal bleibt es ruhig, „aber es waren auch schon mal alle zwölf Zellen belegt“, so die Ärztin. Gramatke sieht sich durchaus in großer Verantwortung. „Es kann eine Menge passieren, zudem gibt es auch psychiatrische Ausnahmesituationen etwa durch Mischintoxikation, wenn verschiedene berauschende Substanzen kombiniert aufgenommen wurden.“
Der Arzt in Weiterbildung profitiert auch persönlich von seinen Wochenendeinsätzen. „Man erlebt Menschen und Situationen, die man so noch nicht kannte – und ich sammele wichtige Erfahrungen.“ Das Projekt befürwortet er aber auch, weil es die Kliniknotaufnahmen deutlich entlaste. „Wenn alkoholisierte Menschen dort den Betrieb aufhalten, Personal binden und andere Patienten belästigen oder verängstigen, ist das maximal ärgerlich.“
Das bestätigt auch Andreas Höft, Ärztlicher Leiter des Rettungsdienstes der Stadt Braunschweig. Stark alkoholisierte Menschen seien nicht unbedingt Patientinnen und Patienten, die zwingend stationäre medizinische Betreuung benötigten. „Diese Personen waren bislang oft falsch in der Klinik und haben Behandlungskapazitäten blockiert.“ Zudem hätten Rettungsdienstmitarbeitende sowie das weiterbetreuende Klinikpersonal unter verbalen und auch physischen Angriffen dieser Klientel zu leiden.