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Fehlende Vorsorgevollmacht Neue Regelung im Sinne des erkrankten Menschen

Seit Anfang des Jahres gilt ein neuer Paragraf im Bürgerlichen Gesetzbuch: Heike Stöter als Mitglied der Ärztlichen Direktion des Klinikums Braunschweig erklärt, was das Ehegattennotvertretungsrecht besagt.

Interview: Prem Lata Gupta

Zur Person

Heike Stöter ist Diplom-Pflegewirtin FH, ihre Laufbahn im Klinikum Braunschweig begann 1981. Anfangs Krankenschwester, arbeitete sie später als Lehrerin für Pflegeberufe, in der Stabsstelle Pflegeentwicklung der Pflegedirektion sowie zehn Jahre als Pflegedienstleitung. Seit vier Jahren gehört sie der Ärztlichen Direktion an. Außerdem ist sie seit zehn Jahren Mitglied im Vorstand des Klinischen Ethikkomitees des Klinikums Braunschweig.

Was ist das Besondere am Ehegattennotvertretungsrecht?

Stellen Sie sich vor, ein Mensch erkrankt plötzlich schwer und verliert das Bewusstsein. Dann liegt eine fehlende Einwilligungsfähigkeit vor – das heißt, er kann sich zu notwendigen medizinischen Maßnahmen wie einer Operation oder einer Ernährungssonde nicht äußern, also weder zustimmen noch ablehnen. Leider haben viele Patientinnen und Patienten keine Vorsorgevollmacht für gesundheitliche Angelegenheiten. In solchen Fällen haben Kliniken bisher das Betreuungsgericht eingeschaltet, um eine gerichtlich bestellte Betreuung als rechtliche Vertretung der Patientin oder des Patienten mit Entscheidungsbefugnis auszustatten. Jetzt kann diese Art von Befugnis der gesunde Ehegatte übernehmen. Dafür sind einige wichtige Formalien zu beachten.

Ersetzt die Neuregelung eine Vorsorgevollmacht?

Die Vorsorgevollmacht bleibt das wichtigste Instrument, wenn ich möchte, dass im Rahmen einer unvorhersehbaren medizinischen Notfallsituation eine Person meines Vertrauens in meinem Sinne Entscheidungen treffen soll. In der Vorsorgevollmacht kann ich vorab festlegen, wer diese Person sein soll, und mich mit dieser Person darüber austauschen, wie meine Entscheidung in bestimmten Krisensituationen aussehen würde. Diese Person muss nicht zwangsläufig mein Ehepartner oder meine Ehepartnerin sein. Es können auch Familienmitglieder oder eine sonstige Vertrauensperson sein.

Gilt das Vertretungsrecht auch für Paare, die ohne Trauschein zusammenleben?

Das Ehegattennotvertretungsrecht gilt nur für Eheleute und eingetragene Lebenspartnerschaften. Auch dürfen diese nicht getrennt wohnen. Ausnahme: Der erkrankte Mensch lebt in einer Pflegeeinrichtung.

Auf welche Entscheidungen oder auch Befugnisse erstreckt sich das neue Ehegattennotvertretungsrecht?

Es gilt für Einwilligungen in Untersuchungen, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe. Wenn sogenannte freiheitsentziehende Maßnahmen wie Bettgitter nötig sein sollten, muss ebenfalls der gesunde Partner oder die gesunde Partnerin zustimmen, außerdem das Betreuungsgericht. Die Erlaubnis gilt für maximal sechs Wochen.

Welche Vorteile sehen Sie für erkrankte Menschen beziehungsweise deren Partnerinnen oder Partner?

Der gesunde Partner oder die gesunde Partnerin kann sofort tätig werden, ohne dass Betreuungsgericht und Betreuungsbehörde eingeschaltet werden müssen.

Was verändert sich für Kliniken wie das Klinikum Braunschweig?

Die Kliniken sparen Zeit, gerade wenn dringend notwendige Maßnahmen anstehen, für die eine Einwilligung benötigt wird, die die betroffene Person selbst aber nicht geben kann.

Zur Person

Heike Stöter ist Diplom-Pflegewirtin FH, ihre Laufbahn im Klinikum Braunschweig begann 1981. Anfangs Krankenschwester, arbeitete sie später als Lehrerin für Pflegeberufe, in der Stabsstelle Pflegeentwicklung der Pflegedirektion sowie zehn Jahre als Pflegedienstleitung. Seit vier Jahren gehört sie der Ärztlichen Direktion an. Außerdem ist sie seit zehn Jahren Mitglied im Vorstand des Klinischen Ethikkomitees des Klinikums Braunschweig.

Worauf müssen behandelnde Ärztinnen und Ärzte achten?

Sie müssen sich vergewissern, dass die Person, um die es geht, nicht einwilligungsfähig ist. Die Person wiederum, die die Einwilligungen für die kranke Partnerin oder den kranken Partner übernimmt, muss ein Dokument ausfüllen, in dem sie bestätigt, dass die Voraussetzungen erfüllt sind – also dass keine Vorsorgevollmacht und keine rechtliche Betreuung vorliegen, dass sie verheiratet oder verpartnert sind und nicht getrennt leben. Zudem muss sie schriftlich versichern, dass sie das Ehegattennotvertretungsrecht zum ersten Mal in Anspruch nimmt. Denn das ist im Rahmen eines Krankheitsgeschehens nur einmal möglich. Dieses Dokument wird – unterschrieben durch Ärztin oder Arzt und Partnerin oder Partner der nicht einwilligungsfähigen Person – der Patientenakte beigefügt. Die gesunde Partnerin oder der gesunde Partner erhält von der Ärztin oder dem Arzt eine Urkunde, die sie oder ihn als für Gesundheitliches vertretungsberechtigt ausweist.

Was passiert, wenn der gesunde Partner oder die gesunde Partnerin sich nicht sicher ist, wie er oder sie sich entscheiden soll?

Wenn der mutmaßliche Wille der nicht entscheidungsfähigen Person nicht eindeutig feststellbar ist oder die Partnerin oder der Partner Zweifel hat, kann dieser im Rahmen einer ethischen Fallbesprechung herausgearbeitet werden. Das Klinische Ethikkomitee moderiert eine solche Fallbesprechung. An ihr nehmen die gesunde Partnerin oder der gesunde Partner, die an der Behandlung beteiligten Personen des Klinikums sowie etwaige andere enge Bezugspersonen der Patientin oder des Patienten teil.

Gibt es beim Ehegattennotvertretungsrecht Beschränkungen, die der Gesetzgeber vorsieht?

Das Vertretungsrecht endet spätestens mit dem Ablauf von sechs Monaten, auch wenn der Partner oder die Partnerin bis dahin nicht wieder einwilligungsfähig ist; andernfalls endet es früher, nämlich mit der Wiedererlangung der Entscheidungsfähigkeit. Das Notvertretungsrecht berechtigt nicht zu freiheitsentziehender Unterbringung, beispielsweise in einem geschützten Bereich einer psychiatrischen Klinik.

2023-11-20T18:05:18+01:00
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