Versorgung von Kindern:

Wenn Geld nicht reicht

Versorgung von Kindern:
Wenn Geld nicht reicht

Gesundheitsminister Karl Lauterbach strebt an, sich vom System der Fallpauschalen – Vergütung nach Diagnose – zu lösen. Ein wichtiger Vorstoß für Kinderkliniken: Was sagen Dr. Jost Wigand Richter als Leitender Arzt der Abteilung Neonatologie und pädiatrische Intensivmedizin und der Generalbevollmächtigte des Klinikums, Lars Anwand, dazu?

Interview: Prem Lata Gupta

Zu den Personen

Dr. Jost Wigand Richter (53, Foto links) ist Leitender Arzt der eigenständigen Abteilung Neonatologie (Neugeborenenmedizin) und Pädiatrische Intensivstation. Diese gehört zum Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin des Klinikums Braunschweig. Vor seiner leitenden Position am Klinikum, die er seit 2018 innehat, war er Oberarzt im Kinderkrankenhaus auf der Bult in Hannover. Dr. Richter ist Kinderarzt, Neonatologe und Kinderneurologe.

Lars Anwand (43, Foto rechts) ist Generalbevollmächtigter des Klinikums Braunschweig und als Geschäftsbereichsleiter verantwortlich für die Bereiche Controlling und Medizincontrolling. Er arbeitet seit 2004 im Gesundheitswesen, seitdem war er für unterschiedliche private und kommunale Kliniken tätig, für einige Zeit auch im Landesverband der Betriebskrankenkassen in Hamburg.

Was heißt Unterfinanzierung in Bezug auf Kinderkliniken oder auch den Bereich der Geburtshilfe?

Lars Anwand: Unterfinanzierung bedeutet, dass erbrachte medizinische Leistungen nicht kostendeckend vergütet werden – und dass dann aus anderen Bereichen des Klinikums Braunschweig quersubventioniert werden muss. Hierbei sind jedoch die vorhandenen Möglichkeiten ausgeschöpft. Das Städtische Klinikum schreibt wie nahezu alle Maximalversorger in Deutschland rote Zahlen: Infolge der Pandemie-Effekte, etwa durch Rückgang von Fallzahlen, und wegen inflationsbedingt gestiegener Kosten.

Dr. Jost Wigand Richter: Über das aktuelle Vergütungssystem, die DRG-Fallpauschalen, sollen lediglich die direkten Kosten der Krankenhäuser etwa für Personal und die laufende materielle Ausstattung finanziert werden. Aber es besteht seit Jahren schon ein Investitionsstau, der die Modernisierung der technischen Infrastruktur und bauliche Erneuerungen verhindert. Diese Investitionskosten sollen laut Gesetz über die Bundesländer finanziert werden, die bereitgestellten Summen entsprechen jedoch seit Jahren nicht dem realen Bedarf.

Warum ist die Arbeit von Kinderstationen und -kliniken nicht kostendeckend, wenn DRG-Pauschalen zugrunde gelegt werden?

Dr. Jost Wigand Richter: Grund ist die Komplexität der Medizin im Kindes- und Jugendalter. Dafür braucht es Fachleute und hochspezialisierte Ausstattung, die aber nicht 24/7 angefordert wird und daher im rechnerischen Sinn nie rentabel sein kann. Es bestehen also hohe Fixkosten. Da aber nur der behandelte Fall finanziert wird, ist die Bereithaltung dieser Leistungen nicht gedeckt. Zusätzlich erfordert die hohe Notfallquote in der Kinder- und Jugendmedizin, etwa 80 Prozent aller stationären Aufnahmen gehen darauf zurück – ebenfalls eine aufwendige Bereitschaft von Struktur, Ausstattung, Personal. Diese Vorhaltekosten sind im Fallpauschalensystem nicht abgebildet.

Lars Anwand: Sind nur wenige Patientinnen und Patienten zu versorgen, entstehen mehr Kosten als Erlöse. Umgekehrt verhielt es sich in den vergangenen Wintermonaten: Viele Kinder mussten mit Atemwegsinfekten in den Kliniken behandelt werden. Hier stoßen vorhandene Kapazitäten an ihre Grenzen. Solche Erkrankungswellen lassen sich nicht planen und folgen leider auch keinem saisonalen Muster.

Wie steht es um personelle Ausstattung? Spüren Sie den Fachkräftemangel ebenfalls?

Lars Anwand: Der Fachkräftemangel besteht generell. Es ist kein Geheimnis, dass es deswegen deutlich häufiger zu Einschränkungen bei der Versorgung auch in unserer Region kommt. So hat die Anzahl von Abmeldungen von Kliniken im Bereich der Geburtshilfe, aber auch in anderen Bereichen weiter zugenommen, weil beispielsweise Hebammen fehlen oder ausgefallen sind. Nicht alle der daraus entstehenden Belastungsspitzen können aber vom Klinikum Braunschweig abgedeckt werden. Die Situation spitzt sich mittlerweile bei allen großen Kliniken und auch bei uns deutlich zu.

Dr. Jost Wigand Richter: Auch bei der Kalkulation der ärztlichen Versorgung wird beispielweise die Anzahl der Mitarbeitenden angesetzt, relevanter aber ist die Arbeitszeit pro Person, insbesondere bei zunehmend großem Anteil von Mitarbeitenden in Teilzeit. Hierbei entsteht eine weitere Schieflage.

Bringen die beschlossenen Millionenzuschüsse für die genannten Bereiche etwas oder braucht es ganz andere Berechnungsgrundlagen als bisher für die Finanzierung?

Lars Anwand: Der für 2023 angekündigte Zuschuss vom Bundesgesundheitsministerium wird unserer Auffassung nach nicht konsequent genug umgesetzt. Eine zielgerichtete Förderung der Kinderkliniken erfolgt nämlich gar nicht! Vielmehr wird der Betrag von 300 Millionen Euro an alle Krankenhäuser ausgeschüttet, die Kinder im Alter von 28 Tagen bis 18 Jahren behandelt haben. So erhalten auch Kliniken Zuschüsse, welche keine eigene Kinderabteilung vorhalten! Warum hier nicht viel zielgerichteter unterstützt wurde, ist aus unserer Sicht, aber auch aus Sicht vieler anderer Kinderkliniken, nicht nachvollziehbar.

Dr. Jost Wigand Richter: In den Reformplänen des Bundesgesundheitsministers zeichnet sich aus meiner Sicht ein Umdenken in die richtige Richtung ab, denn nicht die Medizin muss sich dem System anpassen, sondern das System muss lernen, wie kranke Kinder auch weiterhin von einer hervorragenden Versorgung aufgefangen werden können. Die daher forsch angekündigten Millionenausgaben sind mehr als erforderlich, bedeuten aber den Einsatz einer Gießkanne für einen Flächenbrand.

Was wäre die Alternative?

Dr. Jost Wigand Richter: Letztlich ist die Politik bei der Anpassung des Fallpauschalensystems dauerhaft gefragt. Die beschriebenen hohen Vorhaltekosten können über eine Zusatzfinanzierung mit der angekündigten Neustrukturierung in Versorgungsleveln aufgefangen werden. Auch die Versorgung von komplex und chronisch kranken Kindern muss als Besonderheit anerkannt werden. Die Verzahnung stationärer und ambulanter hochspezialisierter Leistungen muss gefördert werden unter anderem durch die Etablierung pädiatrischer Institutsambulanzen und flächendeckender Tageskliniken, um aufwendige diagnostische oder therapeutische Verfahren kostendeckend anbieten zu können.

Wie sehen Sie die Zukunft?

Lars Anwand: Wir hoffen auf eine konsequente Umsetzung der von Prof. Dr. Lauterbach angekündigten und von ihm so benannten Revolution, um eine umfassende und hochwertige Versorgung für Frühgeborene und erkrankte Kinder auch für die Zukunft sicherstellen zu können.

Dr. Jost Wigand Richter: Kinder haben ein Recht darauf, genauso gut gepflegt zu werden wie Erwachsene. Ich wünsche mir mehr Wissen in der Politik darüber, dass die Versorgung von Kindern zeitlich immer aufwendiger und personalintensiver ist. Das sollte sich auch in den strukturellen Änderungen unserer Finanzierung ausdrücken.

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Licht-Aktion: So setzen sich Mitarbeitende des Klinikums Braunschweig für die bessere Unterstützung von Kinderkliniken ein.

2023-03-23T10:02:45+01:00
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