Aus der Neonatologie:
Zu früh geboren
Erst Gerrit, dann Thilo: Beide Söhne der Familie Bündig sind viel zu früh auf die Welt gekommen. Beide wurden im Klinikum Braunschweig geboren – denn dort gibt es eine Abteilung für Neonatologie und Kinderintensivmedizin.
Autorin: Prem Lata Gupta
Joana und Boris Bündig zu Hause mit dem kleinen Thilo.
ur eine kurze Ruhepause hat sie sich gegönnt nach der Rückkehr aus dem Krankenhaus. Jetzt öffnet Joana Bündig die Tür und ist bereit für ein Gespräch. Ihr Ehemann arbeitet, der fünfjährige Gerrit befindet sich heute in der Obhut der Großmutter – und der kleine Thilo auf der Kinderintensivstation des Klinikums Braunschweig. Es ist ein Ort, an dem auf Früh- und Neugeborene spezialisierte Ärztinnen und Ärzte sowie erfahrene Pflegefachkräfte unter der Leitung von Dr. Jost Wigand Richter ihr ganzes Fachwissen aufbieten für die Allerjüngsten. Das gilt für sämtliche medizinischen Fragestellungen, denn die winzigen Menschen sind noch nicht fertig entwickelt. Außerdem setzt das Team auf familienzentrierte Fürsorge: „Wir beziehen Mütter und Väter aktiv in die Versorgung ihrer Kinder ein, viel körperliche Nähe wirkt entwicklungsfördernd“, erläutert Dr. Richter dieses Konzept.
Wochenlang lag der Frühgeborene auf der Kinderintensivstation des Klinikums Braunschweig.
Hautkontakt fördert Entwicklung bei Frühgeborenen
Jeden Tag fährt Joana Bündig von ihrem Wohnort Wolfenbüttel für mehrere Stunden ins Klinikum. Denn ihr zweiter Sohn ist in der 26. Schwangerschaftswoche zur Welt gekommen, mehr als drei Monate früher als errechnet. 870 Gramm Leben! Thilo verbringt die ersten Wochen im Inkubator: Wenn seine Mutter ihn besuchen kommt, reichen Pflegefachkräfte den Winzling, der mittels einer sogenannten CPAP-Maske mit Sauerstoff versorgt wird, behutsam an und legen ihr das Kind direkt auf den Körper. Haut auf Haut, darum heißt es Känguru-Methode. „Dadurch wird Thilo ganz ruhig.“ Wenn ihr Ehemann nach der Arbeit ebenfalls seinen Sohn besucht, macht er dasselbe.
Über eine Magensonde erhält der Kleine Muttermilch, das unterstützt sein Immunsystem. „Da steht die Kühltasche, ich pumpe die Milch ab, deshalb sind auch meine Nächte in Drei-Stunden-Abschnitte aufgeteilt“, erzählt Joana Bündig. Gemeinsame Stunden zu zweit sind für das Paar derzeit rar. Bei all ihrer Sorge für das jüngste Kind achten beide darauf, dass Gerrit nicht zu kurz kommt. Auch er war vor über fünf Jahren eine Frühgeburt, „aber das war vor Corona und er war damals unser einziges Kind, da war ich über sieben Wochen lang bis zur Entlassung beinahe rund um die Uhr im Klinikum Braunschweig“, erinnert sich seine Mutter.
Frühchen-Eltern erleben oft ein Wechselbad der Gefühle
Joana Bündig und ihr Ehemann Boris wissen das engagierte Team der Neonatologie sehr zu schätzen: „Die Pflegefachkräfte kümmern sich nicht nur vorbildlich um die Kinder, sie passen auch auf die Eltern auf“, erklärt Joana Bündig. „Das sind Menschen, die ihre Arbeit mit Herzblut tun. Sie spüren, wenn es einem selbst mal nicht so gut geht.“ Dr. Jost Wigand Richter, Leitender Arzt der Neonatologie und Kinderintensivmedizin, weiß aus Erfahrung: „Eltern erleben ein Wechselbad der Gefühle.“ Sorgen, wenn Komplikationen auftauchen, und Freude über Fortschritte wechseln sich ab. Bei Frühchen besteht die Gefahr von Hirnblutungen. Sie haben auch noch keine voll entwickelten Lungen. Um die Reifung dieses lebenswichtigen Organs zu beschleunigen, werden bei einer drohenden Frühgeburt Schwangere medikamentös behandelt.
Endlich zu Hause
Was den kleinen Thilo angeht, ist Dr. Jost Wigand Richter knapp sechs Wochen nach dessen Geburt recht zufrieden. „Er hat sein Gewicht fast verdoppelt seitdem.“ Der Inkubator konnte inzwischen gegen ein Wärmebettchen getauscht werden. Zwischenzeitliche Probleme mit der Verdauung scheinen ebenfalls überstanden. Joana Bündig, selbst ausgebildete Kauffrau im Gesundheitswesen, und ihr Ehemann Boris, Facharzt für Unfallchirurgie, hatten immer wieder sehr konkrete Fragen an das Team der Neonatologie. „Vielleicht waren wir da sogar fordernder als andere Eltern“, meint ihr Mann. Aber er sagt auch: „Wir wurden immer sehr schnell informiert. Die Kommunikation klappte total super.“
Sechs Wochen Intensivbereich, drei Wochen Intermediate-Care-Station, drei Wochen auf der Nachsorgestation der Neonatologie – der Kleine meistert jede Etappe. Nach drei Monaten ist es am 23. Januar so weit: Joana und Boris Bündig holen Thilo endlich nach Hause. „Wir waren aufgeregt – aber es geht ihm gut. Und uns auch“, erzählen sie. Gerrit singt seinem Bruder vor, die Familie kuschelt zu viert. „Jetzt ist unser Leben so, wie wir es uns immer vorgestellt haben.“
Joana Bündig
Mutter von Thilo und Gerrit
Bewusst Zeit miteinander verbringen – das ist Boris Bündig wichtig, denn auch der fünfjährige Gerrit braucht seinen Vater.
Höchstmögliche Versorgungsstufe
In der Neonatologie und auf der Kinderintensivstation des Klinikums Braunschweig werden jährlich etwa 550 Jungen und Mädchen behandelt, etwa 50 bis 60 davon haben ein Geburtsgewicht von unter 1500 Gramm. Hier ist rund um die Uhr fachärztliche Betreuung gewährleistet und durch die enge Anbindung ans klinikumseigene Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin auch ständig eine Kinderchirurgin oder ein Kinderchirurg verfügbar – eine ganz wichtige Ressource, denn Leistenbrüche, eine nicht geschlossene Bauchdecke oder nicht vollständig angelegte Speiseröhre kommen bei Frühgeborenen häufiger vor als sonst. Die Klinik gehört als Perinatalzentrum Level 1 zur höchstmöglichen Versorgungsstufe. 32 Betten stehen insgesamt zur Verfügung, zwölf davon sind Beatmungsplätze. Das Team umfasst 17 Ärztinnen und Ärzte sowie 80 Pflegefachkräfte, auch eine Psychologin als Ansprechpartnerin für die Eltern gehört dazu.