Puls – Das Magazin für Gesundheitsinteressierte | Ausgabe 06/2022

Die Lage ist ernst:

Probleme im Gesundheitswesen

Die Lage ist ernst:
Probleme im Gesundheitswesen

Unterfinanzierung, Fachkräftemangel, Lieferengpässe, Corona – und jetzt noch Inflation: Drei Experten erklären, welchen Belastungen das Gesundheitswesen ausgesetzt ist. Neben Kliniken sind Arztpraxen ebenfalls betroffen.

Interview: Prem Lata Gupta

Zu den Personen

Dr. Andreas Goepfert (Fotos oben, von links) ist Geschäftsführer des Klinikums Braunschweig. Der promovierte Mediziner verantwortet die operative und strategische Steuerung des Unternehmens.
Dr. Jan Wolff ist seit 2021 Geschäftsführer des Krankenhauses Marienstift in Braunschweig. Der 42-Jährige ist gebürtiger Braunschweiger. Er hat Gesundheitsökonomie in Köln studiert und in London promoviert.
Dr. Thorsten Kleinschmidt ist Arzt für Allgemeinmedizin in Braunschweig und Vorsitzender des Bezirksausschusses der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen. Er spricht für niedergelassene Kolleginnen und Kollegen.

Führungskräfte von Krankenhäusern protestieren öffentlich – warum?

Dr. Andreas Goepfert: Wir wollen darauf aufmerksam machen, dass unser Gesundheitswesen bereits jahrelang von Unterfinanzierung geprägt ist. Laufende Kosten sollen bestritten werden über die Fallpauschalen, die die Krankenkassen für die Behandlung von Patientinnen und Patienten – bezogen auf deren jeweilige Diagnose – zahlen. Aber diese errechnen sich aus einer Kalkulation der Kosten von vor zwei Jahren, insofern ist dies unrealistisch. Investitionen in Gebäude und Geräte sollen die Bundesländer voll tragen, in Wirklichkeit steuern sie zwischen 20 und 80 Prozent bei.

Dr. Jan Wolff: Die Krankenhäuser in Deutschland stehen aktuell im wirtschaftlichen Kreuzfeuer zwischen extremer Inflation und den weiterhin grassierenden Corona-Auswirkungen. Laut Deutschem Krankenhausinstitut können 96 Prozent der Häuser die gestiegenen Kosten nicht mehr aus den laufenden Einnahmen bezahlen.

Inwiefern stehen auch niedergelassene Ärztinnen und Ärzte ökonomisch unter Druck?

Dr. Thorsten Kleinschmidt: Wir spüren die Inflation ebenfalls. Von den steigenden Energiepreisen sind am stärksten die Praxen betroffen, die mit Großgeräten wie CT und MRT arbeiten, denn diese haben einen hohen Stromverbrauch. Aber auch ein Allgemeinmediziner wie ich hat durch die normale notwendige Telekommunikation nun erhöhte Energiekosten.

Resultiert der Fachkräftemangel ausschließlich aus unzureichender Bezahlung?

Dr. Jan Wolff: Es gibt bei Weitem nicht ausreichend Ärztinnen und Ärzte, Pflegefachkräfte und technische Assistentinnen und Assistenten. Die Bezahlung sollte in manchen Berufen steigen, um diese attraktiver zu machen. Und es muss zügig deutlich mehr an Universitäten und Fachschulen ausgebildet werden. Die Zahl der Interessierten liegt dort oft wesentlich höher als die der verfügbaren Plätze

Dr. Andreas Goepfert: Wir verlieren Fachpersonal, weil die Babyboomer-Generation in Rente geht und nicht im selben Ausmaß eine Ausbildung in der Pflege angestrebt wird. Dazu kommt, dass wir durch gesetzliche Änderungen, nämlich durch die Pflegepersonaluntergrenzenverordnung, eine höhere Dichte an Personal benötigen. Insofern geht die Schere stark auseinander. Ein dritter Faktor ist, dass durch die Corona-Pandemie Mitarbeitende entsprechend belastet sind. Sie reagieren darauf mit einer Reduzierung ihrer Arbeitszeit auf 75 oder 50 Prozent.

Stimmt es, dass während einer Schicht drei Stunden auf die Dokumentation entfallen?

Dr. Jan Wolff: Ja, teilweise noch mehr. Ein sehr großer Teil der Dokumentationsaufgaben ist nicht medizinisch notwendig, sondern dient der Erfüllung von Anforderungen der Kostenträger und des Medizinischen Dienstes etwa für Rechnungsprüfungen. Kurzfristig sollte ein Dokumentations- und Nachweismoratorium vereinbart werden, um die aktuelle Belastung zumindest etwas zu mindern. Mittelfristig sollte eine drastische Erleichterung des Abrechnungssystems angestrebt werden.

Inwiefern belastet Corona die Einnahmesituation der Krankenhäuser?

Dr. Andreas Goepfert: Gerade am Beginn der Pandemie mussten wir Betten frei halten. Das beeinflusst die Einnahmesituation maßgeblich. Patientinnen und Patienten, die an oder mit Corona erkrankt sind, erfordern mehr Personal wegen der aufwendigen Hygienemaßnahmen. Dazu kommt eine deutlich höhere Krankheitsrate bei den eigenen Mitarbeitenden.

Dr. Jan Wolff: Durch die notwendigen Isolationsmaßnahmen können außerdem wesentlich weniger Patientinnen und Patienten behandelt werden, wodurch die notwendige Refinanzierung der operativen Fixkosten unmöglich wird.

Was bedeutet es für niedergelassene Ärztinnen und Ärzte, wenn elektive, also mit Vorlauf geplante Behandlungen im Krankenhaus aufgeschoben werden?

Dr. Thorsten Kleinschmidt: Das muss kommuniziert werden gegenüber den eigenen Patientinnen und Patienten. Einige sind geduldig. Andere wollen, weil sie Schmerzen haben, dauerhaft krankgeschrieben werden. Oder ich telefoniere als niedergelassener Arzt herum, bis ich eine Klinik finde, die den Eingriff doch vornimmt. Aber das ist Arbeitszeit, die einem für andere Aufgaben verloren geht.

Es macht Schlagzeilen, dass wichtige Medikamente nicht mehr zur Verfügung stehen: Was bedeutet das für die Versorgung?

Dr. Andreas Goepfert: Wir setzen immer auf mehrere Lieferanten. In Einzelfällen gibt es tatsächlich nur einen einzigen Hersteller. Dann kaufen wir ein ganz bestimmtes Produkt auf dem Weltmarkt in einer Größenordnung ein, um auch im Folgejahr darüber verfügen zu können. Allerdings zahlen wir dann unter Umständen einen weitaus höheren Preis, als ursprünglich kalkuliert war.

Dr. Thorsten Kleinschmidt: Es ist belastend, und zwar für alle Beteiligten. Patientinnen und Patienten klagen, dass sie ihre gewohnten Tabletten nicht bekommen. Das Praxisteam muss mit diesen Beschwerden vor Ort und am Telefon umgehen. Und ich muss mir Gedanken machen, was ich alternativ verschreibe. Ganz knifflig wird es, wenn man von Therapieprinzipien abweichen muss, weil aus einer ganzen Medikamentengruppe nichts verfügbar ist.

Was halten Sie von dem Plan des Bundesgesundheitsministers, in Kliniken verstärkt ambulant behandeln zu lassen, auch um Pflegekräfte zu entlasten?

Was halten Sie von dem Plan des Bundesgesund-
heitsministers, in Kliniken verstärkt ambulant behandeln zu lassen, auch um Pflegekräfte zu entlasten?

Dr. Thorsten Kleinschmidt: Ich halte die Idee für eine Luftnummer. Es war ja sogar mal von Gesundheitskiosken die Rede: Auf diese Weise lässt sich das bisherige Niveau der Versorgung nicht aufrechterhalten.

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Mehr über die Protestaktion der Kliniken erfahren Sie in diesem Video.
(Video: skbs Städtisches Klinikum Braunschweig gGmbH)

2022-12-23T10:05:29+01:00
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