Dr. Clemens Schmidt schaut bei dieser Kontrolluntersuchung ins Ohr des Patienten: Denn auch Entzündungen können Schwindel auslösen.

Morbus Menière: Leben mit Schwindelgefühlen

Beeinträchtigungen des Gleichgewichtsorgans, Druck im Ohr, Hörverlust und Schwindelattacken – wenn das alles zusammentrifft, geht es um Morbus Menière.

Autorin: Prem Lata Gupta

Es ist, als ob man ständig Karussell fährt, alles dreht sich, den Patientinnen und Patienten ist speiübel – ein Albtraum.“ Dr. Clemens Schmidt spricht über die schweren Fälle, er hat so viele untersucht, dass der Oberarzt der Hals-Nasen-Ohren-Klinik plastisch schildern kann, was diese Menschen quält. Solch ein Patient war auch Markus Heine, jedes Jahr kommt er zu Kontrolluntersuchungen ins Klinikum Braunschweig: Der heute 49-Jährige litt an Morbus Menière. Diese Krankheit geht mit heftigen Schwindelattacken einher, mit Erbrechen, mit Hörstürzen. Heine hat immer wieder heftige Anfälle erlebt, die Stunden dauerten. „Und dann muss man erst mal wieder auf die Beine kommen, auch das braucht Zeit“, sagt er. Auto fahren, arbeiten, ein normaler Alltag war irgendwann kaum mehr möglich.

Gleichgewichtsorgan im Innenohr

Dr. Clemens Schmidt erklärt, was sich im Körper abspielt: „Das Innenohr besteht aus Gehörschnecke und Gleichgewichtsorgan. Dank Letzterem spürt man die Erdanziehungskraft und man nimmt Bewegungen wahr.“ Wenn aber das Gleichgewichtsorgan nicht funktioniert, fällt es bei starkem Drehschwindel schwer, sich auf den Beinen zu halten. „Solche Menschen werden manchmal mit dem Rettungswagen zu uns gebracht.“ Zur Diagnostik gehören dann auch neurologische Untersuchungen, denn starker Schwindel kann unter anderem auch auf einen Schlaganfall hindeuten.

Patient Markus Heine trägt inzwischen ein Cochlea-Implantat.
Mit der Frenzelbrille werden die Augenbewegungen von Betroffenen überprüft.

Zunächst Ursachensuche

Ist das Gehirn zweifelsfrei nicht betroffen, startet die Diagnostik der HNO-Klinik: Dazu gehört die Untersuchung des Innenohres, Entzündungen dort können Schwindel auslösen. Ein Hörtest gibt Aufschluss über das Hörvermögen, sind die tiefen Frequenzen nicht wahrnehmbar, deutet dies auf die Menière-Erkrankung hin. Bei der sogenannten kalorischen Vestibularisprüfung werden beide Ohren nacheinander erst mit warmem, danach mit kaltem Wasser gespült. Die Temperaturveränderung wirkt auf das Gleichgewichtsorgan, löst einen leichten Schwindel aus – und möglicherweise eine für den Morbus Menière typische Augenbewegung (Nystagmus). Folgen bei dem sogenannten Kopf-Impuls-Test – dort bewegt der Untersuchende den Kopf der Patientin oder des Patienten kurz und ruckartig – die Augen nicht zeitgleich, sondern nur mit Verzögerung, kann auch das ein Hinweis auf Morbus Menière sein.

Medikament mindert den Schwindel

Hörstürze, abnehmendes Hörvermögen, Druck im Ohr, Ohrgeräusche und Schwindel sind die klassischen Merkmale von Morbus Menière. Therapien erfolgen zunächst medikamentös. Manche Ärztinnen und Ärzte verschreiben einen Wirkstoff, der dämpfend auf das Gleichgewicht wirkt, um den Schwindel zu mildern. In der HNO-Klinik des Klinikums verabreichen die Ärztinnen und Ärzte Medikamente gegen die Übelkeit und setzen auf Infusionen mit Cortison. Doch Dr. Clemens Schmidt weiß, dass sich Schwindelanfälle wiederholen können, dazu kommt die Panik der Betroffenen vor der nächsten unvorhergesehenen Attacke. „Die kann Stunden dauern oder auch Tage – was macht ein alleinstehender Mensch, wenn er nur noch daliegen und sich nicht mehr selbst versorgen kann?“, sagt der Oberarzt.

Cochlea-Implantat ersetzt Funktion des Innenohrs

Patient Markus Heine war auf dem linken Ohr betroffen. Kein Therapieansatz hat bei ihm gefruchtet und auch Reha-Maßnahmen brachten keine nachhaltige Besserung. Bis dahin war er an anderen Häusern behandelt worden. Als sich bei einer Untersuchung während der Reha herausstellte, dass sein Sprachverstehen einseitig gegen null ging, wollte er endgültig aus dem Teufelskreislauf der wiederkehrenden Schwindel­anfälle entfliehen und wandte sich an den Chefarzt der HNO-Klinik des Klinikums Braunschweig, Prof. Dr. Andreas Gerstner. Eine Rückmeldung erfolgte bereits am nächsten Tag, ein erster Termin fand eine Woche später statt: Zunächst erhielt der Hilfesuchende ein Medikament, um das Gleichgewichtsorgan auszuschalten. Im nächsten Schritt wurde er links mit einem Cochlea-Implantat versorgt: Diese hochmoderne Neuroprothese ersetzt die Funktion des Innenohres, indem sie die Schallsignale des gesprochenen Wortes in elektrische Impulse umwandelt, die direkt an den Hörnerv weitergegeben werden. Das war 2016. Der damals 44-Jährige musste ganz neu hören lernen.

Dr. Clemens Schmidt kennt das Leid der Morbus-Menière-Erkrankten.

Audiometrieassistentin Susanne Zimmer gibt Markus Heine Anweisungen beim Hörtest.

Zurück im Arbeitsleben

Weil sein Gleichgewichtssinn im linken Ohr ausgeschaltet wurde, sagt er, verspürt er manchmal leichte Gangunsicherheiten, zum Beispiel im Dunkeln. Dennoch: Markus Heine kann Sprache beinahe zu 100 Prozent wieder verstehen, er ist ins Arbeitsleben zurückgekehrt. „Vor allem bin ich diese furchtbaren Schwindelanfälle los.“

Schwindel hat viele Ursachen

Wenn sich alles dreht: Die häufigste Form – noch vor Morbus Menière – ist der gutartige Lagerungsschwindel. Diese Art von Schwindel kann auftreten, wenn sich Menschen im Bett drehen oder aufrichten. Grund: Im Innenohr haben sich kristallartige Steinchen, die normalerweise fest am Gleichgewichtsorgan sitzen, gelöst. Sie bewegen sich nunmehr in der Flüssigkeit in den Bogengängen, mit ihrem Gewicht reizen sie die Sensorzellen dort und lösen so Schwindel aus. Durch gezielte Bewegungen, auch Befreiungsmanöver genannt, lässt sich ihre Position wieder verändern und Besserung erzielen.

Auch eine Durchblutungsstörung an den Halsgefäßen, die sich auf das Gehirn auswirkt, oder gar ein Schlaganfall können Schwindel verursachen. Um Letzteres auszuschließen oder zu bestätigen, bedarf es neurologischer Untersuchungen. Insbesondere wenn zusätzlich zum Schwindel Kopfschmerzen, Lähmungserscheinungen, Seh- oder Sprachstörungen auftreten, sollte dringend eine Fachärztin oder ein Facharzt konsultiert werden.

2023-06-27T21:07:28+02:00
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