Praktisches Jahr Medizin Beruflicher Nachwuchs aus Vietnam

Zwischen Arztbriefen, Ambulanz und Blutabnahme: Thien Hung Nguyen absolviert sein Praktisches Jahr in der Medizin am Klinikum Braunschweig – und will auch für die Facharztausbildung bleiben.

Autorin: Susanna Bauch

Direkter Kontakt zu den Erkrankten ist in der Ausbildung wichtig: PJler Thien Hung Nguyen tastet einen Patienten ab.

Direkter Kontakt zu den Erkrankten ist in der Ausbildung wichtig: PJler Thien Hung Nguyen tastet einen Patienten ab.

Kooperation für das Praktische Jahr Medizin

Die Ausbildung der jungen Vietnamesinnen und Vietnamesen in Deutschland resultiert aus einer Kooperation mit der Vietnamese-German Faculty of Medicine. In Niedersachsen ist das Klinikum Braunschweig federführend bei der Integration der ärztlichen internationalen Nachwuchsförderung mit PJ-Studierenden aus Vietnam. Gemeinsam mit dem Klinikum Wolfsburg, dem Klinikum Wolfenbüttel und dem Herzogin Elisabeth Hospital (HEH) wird diese Kooperation unterstützt.

Gerade ist es relativ ruhig auf Station C4 – Allgemeinmedizin. Die meisten Ärztinnen und Ärzte sind im OP. Thien Hung Nguyen sitzt indes im Arztzimmer. Der junge Vietnamese absolviert sein Praktisches Jahr (PJ) am Klinikum Braunschweig, in der Allgemeinchirurgie ist es erst sein dritter Tag. Der 26-Jährige liest Befunde am PC. Leider habe er Rückenschmerzen, sagt er. „Ich habe am Vortag im OP lange sehr schief gestanden, das merke ich jetzt. Aber das gehört dazu.“ Nguyen lächelt. Er ist schmal, sehr zurückhaltend. Es ist sein zweiter Monat am Klinikum, zuvor war er in der Gefäßchirurgie. „Die Menschen sind alle sehr freundlich. Aber es haben auch alle viel zu tun.“

Dr. Stefan Reubke, Leitender Oberarzt der Allgemeinchirurgischen Station, ist für alle Fragen der jungen Nachwuchsärztinnen und -ärzte offen. „Sie müssen bei der Operation nicht nur Haken halten, sie sollen in der kurzen Zeit möglichst viel lernen – und fragen.“ Sie im Arbeitsalltag zu integrieren sei nicht immer leicht. „Sie bleiben ja immer nur vier Wochen bei uns, das ist kurz.“ Beim medizinischen Nachwuchs aus Vietnam kämen Sprachprobleme und die eher zurückhaltende Mentalität hinzu.

PJ im Medizinstudium: Auf Station sofort eingespannt

Thien Hung Nguyen hat bereits in Vietnam Deutsch gelernt. Und er spricht und versteht es bereits recht gut. „Das Fachvokabular kenne ich natürlich – und ich versuche, mit vielen Gesprächen auf Station sowie mit den Patientinnen und Patienten mein Deutsch kontinuierlich zu verbessern.“ Dafür suche er überall eine Unterhaltung, auch mit dem Bäcker oder der Busfahrerin.

Er wird auf Station von Tag eins an eingespannt. Blutabnahme, Zugänge und Infusionen legen und Assistenz im OP-Saal gehören zu seinen täglichen Aufgaben. Morgens startet er ab 7 Uhr, die Visiten stehen an. Er kontrolliert die Gefäße der Patientinnen und Patienten für Untersuchungen mit Kontrastmittel und ertastet unter Aufsicht des Chefarztes beispielsweise den Tumor in der Bauchspeicheldrüse eines OP-Patienten. „Ich lerne, wie sich gesundes Gewebe anfühlen muss. Und ich lerne auch, dass manchmal die Milz mit der Bauchspeicheldrüse operativ entfernt werden muss“, so Nguyen.

Dr. Stefan Reubke
Leitender Oberarzt Chirurgie

Dr. Stefan Reubke
Leitender Oberarzt Chirurgie

Zweites Staatsexamen Medizin nach IMPP-Kriterien bestanden

Der junge PJler hat sein Staatsexamen in Vietnam absolviert, das Programm mit Deutschland hat ihn sofort interessiert. „In diesem Jahr haben acht angehende Ärztinnen und Ärzte aus Vietnam bei uns angefangen“, sagt Dr. Thomas Bartkiewicz, Ärztlicher Direktor des Klinikums. Das sei noch der Pandemie und den einschränkenden Regeln geschuldet. „Normalerweise kommen pro Ausbildungsjahr um die 20 Studierende in die Region.“ Sie haben an der Pham Ngoc Thach University of Medicine in Ho-Chi-Minh-Stadt, ehemals Saigon, Medizin studiert, Deutsch gelernt und das vom Institut für Medizinische und Pharmazeutische Prüfungsfragen (IMPP) in Mainz konzipierte Zweite Staatsexamen Medizin erfolgreich bestanden. Eine Voraussetzung, um nach Deutschland kommen zu können.

„Wir hoffen natürlich, dass die jungen Nachwuchskräfte sich nach dem PJ auch für eine Facharztausbildung bei uns entscheiden“, betont Dr. Bartkiewicz.

Die Facharztausbildung – die Vertiefung und Spezialisierung nach Abschluss des Studiums – dauert etwa sechs Jahre. „Aus jedem Jahrgang bleiben Kolleginnen und Kollegen aufgrund der sehr guten menschlichen und sozialen Integration hier. Sie sind sehr engagiert und motiviert. Die jungen Nachwuchskräfte schließen Lücken und ergänzen das Ärzteteam“, sagt der Ärztliche Direktor.

Gut gegen den Fachkräftemangel: Manche bleiben für Facharztausbildung

Nguyen hat sich mit der Anästhesie sein Wahlfach im PJ bereits ausgesucht. „Ich würde auch gern die entsprechende Fachausbildung hier machen“, betont der 26-Jährige. Was danach komme, da könne er sich noch nicht festlegen.

Vy Nhat Vo indes hat sich bereits entschieden. Die junge Ärztin gehört zur ersten Generation der Medizinkooperation aus dem Jahr 2018: „Ich habe tolle Erfahrungen hier gemacht.“ Ihre Abschlussprüfung hat sie erfolgreich am Klinikum abgeschlossen, jetzt absolviert sie ihre Ausbildung zur Fachärztin in der Pathologie. „Da habe ich zwar keinen Kontakt zu Patientinnen und Patienten, aber ich finde das sehr spannend.“ Die 27-Jährige ist gekommen, um zu bleiben. Die Kolleginnen und Kollegen hätten ihr sehr bei ihrem Einstieg im fremden Land geholfen, sagt sie.

Nguyen erfährt diese Hilfe unter anderem von Dr. Reubke. Der Leitende Oberarzt begleitet ihn heute ins Patientenzimmer. Bei Edwin Peta muss der Tropf gewechselt werden. Der Patient hatte eine große Magenoperation. Nguyen prüft Verband und Wunde, wechselt die Infusion. Er führt eine Art Logbuch, in dem er sich alle Termine notiert: „In der kommenden Woche kann ich eine große Operation zur Tumorentfernung begleiten.“ Vielleicht dürfe er dann unter Aufsicht Klammernähte machen. Aber auch außerhalb des OPs ist der 26-Jährige im Einsatz – hilft den Pflegekräften auf Station und in der chirurgischen Ambulanz.

Studierende im Praktischen Jahr Medizin dürfen auch Infusionen legen.

Kooperation für das Praktische Jahr Medizin

Die Ausbildung der jungen Vietnamesinnen und Vietnamesen in Deutschland resultiert aus einer Kooperation mit der Vietnamese-German Faculty of Medicine. In Niedersachsen ist das Klinikum Braunschweig federführend bei der Integration der ärztlichen internationalen Nachwuchsförderung mit PJ-Studierenden aus Vietnam. Gemeinsam mit dem Klinikum Wolfsburg, dem Klinikum Wolfenbüttel und dem Herzogin Elisabeth Hospital (HEH) wird diese Kooperation unterstützt.

Befundbesprechung: Thien Hung Nguyen mit dem Leitenden Oberarzt der Allgemeinchirurgie, Dr. Stefan Reubke (links), sowie Assistenzarzt Ngede Nkiondalle und Facharzt Alok Garg (rechts).

Team im Klinikum Braunschweig vermittelt PJ-Studierenden Kenntnisse

„Wegen der Kürze der Zeit können die PJlerinnen und PJler in der Regel nur bei uns hineinschnuppern“, betont Dr. Reubke. Bei anspruchsvollen Eingriffen mit vier Fachkräften am Tisch sei ein zusätzliches Anleiten manchmal schwierig. „Aber die jungen Menschen können das Fach kennenlernen, wir können sie motivieren und so auch Nachwuchs rekrutieren.“ Derzeit, so Dr. Reubke, sei man auf der Chirurgie eng besetzt, da zähle jede Kraft. So werde Nguyen auch fest integriert in den Arbeitsalltag des Teams, sei es zu Visite, Röntgenbesprechung, Indikation oder Operation. „Die jungen Kolleginnen und Kollegen sollen möglichst viel aktiv mitmachen.“

Auf Station C4 geht es multinational zu. Assistenzarzt Ngede Nkiondalle kommt aus Kamerun, Alok Garg aus Indien ist bereits chirurgischer Facharzt. Beide sprechen perfekt Deutsch, etwas, woran Nguyen noch arbeiten muss. „Ich bin ein bisschen zurückhaltend. Aber alle haben dafür Verständnis.“ Der junge PJler streift die Handschuhe ab und erkundigt sich nach weiteren Aufgaben. Der Patient Peta ist vorerst versorgt.

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junge Medizinstudierende aus Vietnam absolvieren zurzeit ihr PJ am Klinikum.

Zweimal pro Woche gibt es auch interne Fortbildungen. „Wir erklären, was wir tun, und wir fragen das dann auch nach“, erklärt Dr. Reubke. In der Kommunikation mit den PJlerinnen und PJlern stehe immer die medizinische Ausbildung im Vordergrund.

Thien Hung Nguyen geht zurück ins Arztzimmer, die Kolleginnen und Kollegen sind fertig im OP, es wird geplaudert. Zeit für ein Mittagessen aus der Mikrowelle, das alle gemeinsam im Aufenthaltsraum einnehmen. Der junge Mann aus Vietnam hört auch hier aufmerksam zu – „ich möchte Deutsch und Arbeitsabläufe lernen“. Die Rückenschmerzen sind übrigens schon besser. „Morgen kann ich wieder in den OP“, sagt er – und lächelt.

Auf dem Heimweg: PJler Thien Hung Nguyen ist gern mit dem Fahrrad unterwegs.

Thien Hung Nguyen
PJler aus Vietnam

Thien Hung Nguyen
PJler aus Vietnam

2023-11-20T18:00:29+01:00
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