Nataliia Tkachuk und ihr Lebenspartner Gottfried Schulz sind überglücklich, wieder zusammen sein zu können – und dass die Verletzung gut ausheilt.

Verletzte Ukrainerin: Gerettet und in Sicherheit

Angeschossen von russischen Soldaten: Drei Wochen war Nataliia Tkachuk unterwegs zu ihrem Lebenspartner in Wolfenbüttel. Der brachte sie ins Klinikum Braunschweig.

Autorin: Margot Dankwerth

Ein Wunder, dass die 57-jährige Nataliia Tkachuk ihre Odyssee aus dem Kriegsgebiet nach Deutschland überstanden hat – und das mit einer Kugel in der Brust. Ohne ihren Partner, der von zu Hause den Krankentransport organisierte, hätte sie es vermutlich nicht geschafft.

Gottfried Schulz (62) arbeitet als Straßenbahnfahrer in Braunschweig, er hat Verwandte in der Ukraine, spricht die Sprache. Vor zwei Jahren lernte das Paar sich dort kennen. Seitdem pendeln die beiden zwischen Wolfenbüttel und Tschernihiw. „Es war abgemacht, dass sie am 1. März für 14 Tage zu mir kommt“, sagt Schulz. „Ich hatte ihr mein Auto dagelassen, das wollte sie mitbringen.“ Doch dann brach am 24. Februar der Krieg aus.

„Es herrschte Panik“, erzählt Nataliia Tkachuk heute, „ich wollte noch tanken, aber die Schlange war zu lang. Auch die vor den Geldautomaten.“ Ihr Plan: Die Mutter im nahen Dorf abholen und gemeinsam versuchen, die polnische Grenze zu erreichen. Aber die ukrainische Armee ließ keinen mehr durch. „Wir kehrten um und brachten uns im Keller meiner Mutter in Sicherheit. Die Erde bebte nur noch, Tag und Nacht fielen Bomben.“ Per Smartphone jedoch meldete sie sich, wenn möglich.

Gottfried Schulz berichtet: „Strom und Gas gab es nicht mehr, aber im Auto war noch Benzin. Wenn es eine Stunde lief, war der Handy-Akku wieder bei 20 Prozent. Das reichte, um kurz zu sagen: Wir leben noch.“

auf der Flucht, von Tschernihiw
über Kiew nach Braunschweig

Der Schuss kam von hinten

Der Versuch, durch einen offiziellen Korridor mit dem Auto das Kampfgebiet zu verlassen, scheiterte durch einen Raketeneinschlag auf der Straße. Der zweite Versuch am 5. März um 9 Uhr endete dann fatal. Nataliia Tkachuk erinnert sich: „Meine Nachbarin saß am Steuer, ich auf dem Beifahrersitz, eine Freundin auf der Rückbank. Russische Soldaten hielten uns auf, wir sollten umkehren. Und als wir gewendet hatten, eröffneten sie das Feuer. Eine Kugel ging durch die Rücksitzlehne, durch den Beifahrersitz in meinen Rücken. Es war ein heftiger, sehr heißer Schmerz, alles war sofort voll Blut.“

Zurück im Dorf der Mutter, legten sechs junge Männer die Schwerverletzte auf einen Teppich und trugen sie nachts neben der zerstörten Brücke durch einen Fluss in den nahen Wald. Dort übernahmen ukrainische Soldaten die Frau und brachten sie mit einem gepanzerten Wagen ins Krankenhaus nach Tschernihiw.

Nataliia Tkachuk fällt es heute noch schwer, über diesen Tag zu sprechen. Sie ist inzwischen bei ihrem Partner in Wolfenbüttel, es geht ihr besser. Die Wunden heilen langsam, sie kann wieder, wenn auch in kleinen Portionen, Essen zu sich nehmen und kurze Strecken gehen. Blass ist sie und ihre Stimme leise, 20 Kilo Gewicht hat sie verloren. „In diesem Moment hatte ich Todesangst. Ganz besonders um meine Helfer. Die hatten zwar eine weiße Flagge dabei. Aber die Russen waren ganz nah, sie hätten uns sofort töten können.“

Das Projektil, das in Braunschweig chirurgisch entfernt wurde, als bleibende Erinnerung.

auf der Flucht, von Tschernihiw
über Kiew nach Braunschweig

Nataliia Tkachuk fällt es heute noch schwer, über diesen Tag zu sprechen. Sie ist inzwischen bei ihrem Partner in Wolfenbüttel, es geht ihr besser. Die Wunden heilen langsam, sie kann wieder, wenn auch in kleinen Portionen, Essen zu sich nehmen und kurze Strecken gehen. Blass ist sie und ihre Stimme leise, 20 Kilo Gewicht hat sie verloren. „In diesem Moment hatte ich Todesangst. Ganz besonders um meine Helfer. Die hatten zwar eine weiße Flagge dabei. Aber die Russen waren ganz nah, sie hätten uns sofort töten können.“

Oberarzt Dr. Stefan Benjamin Reubke hat die OP vorgenommen.

Komplizierter Transport

In einer Not-OP entfernten die Ärzte in Tschernihiw der Patientin eine verletzte Niere und die Milz, der Magen wurde genäht. Mehr war nicht möglich, bei ständigem Stromausfall und Bombenhagel. Und immer mehr Opfern, die dringend Betten brauchten.

Gottfried Schulz hatte inzwischen Kontakt zum Verein Freie Ukraine Braunschweig e. V., der Medikamente ins Kriegsgebiet bringt, aufgenommen. Die Helfer nahmen seine Partnerin schließlich mit durch das von Russen attackierte Gebiet von Tschernihiw nach Kiew. Hier lebt ihr erwachsener Sohn, er organisierte in der Hauptstadt einen Wagen zur Weiterfahrt nach Lwiw. Dort konnte Schulz am 25. März seine erschöpfte Gefährtin in die Arme schließen. „Am 26. März haben wir sie im Klinikum in der Notaufnahme an der Salzdahlumer Straße abgegeben. Eine Dolmetscherin war da, es wurde ein MRT gemacht, die Erstversorgung durchgeführt. Alles lief gut. Ich war so erleichtert!“ Am nächsten Tag wurde die Kugel herausoperiert.

An ihren Aufenthalt im Klinikum hat Nataliia Tkatchuk nur die besten Erinnerungen. „Ich bekam Aufbauspritzen und Infusionen, bald kam ich wieder zu Kräften. Und auch auf der Station waren alle so nett. Chefarzt Prof. Schumacher sagte, die Kollegen in der Ukraine hätten sehr gute Arbeit geleistet, sonst hätte ich kaum überlebt.“ Wie geht’s weiter? Die Patientin möchte, sobald es geht, zurück zu ihrer Mutter in die Ukraine. „Ich will bei ihr sein. Man weiß ja nicht, was kommt.“

Hut ab vor den Kollegen

Oberarzt Dr. Stefan Benjamin Reubke, Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie am Klinikum Braunschweig, hat die Patientin operiert.

„Bei der Aufnahme bestand keine Lebensgefahr, das Projektil steckte im Unterhautfettgewebe unterhalb des Brustbeins. Mit einer CT konnte es eindeutig identifiziert werden. Es ließ sich noch eine Pankreasfistel nachweisen. Wir konnten die Operation mit Projektilentfernung und der Platzierung einer Drainage planmäßig durchführen. Wir haben Frau Tkachuk in stabilem Zustand nach Hause entlassen. Ich kann nur den Hut ziehen vor der Leistung der ukrainischen Chirurginnen und Chirurgen, die unter schwierigsten Bedingungen lebensbedrohliche Verletzungen sicher versorgt haben.“

2023-06-10T16:34:07+02:00
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