Klinisches Risikomanagement:
Aus Fehlern lernen
Checklisten, Vier-Augen-Prinzip, exakte Dokumentation sowie Nachbearbeitung: Das klinische Risikomanagement stärkt die Sicherheit und unterstützt den reibungslosen Ablauf im Klinikalltag.
Autorin: Susanna Bauch
Zu den Personen
Prof. Dr. Peter Werning (63, von links) arbeitet seit 1990 im Klinikum und hat die Neuro- und Kardioanästhesie mit aufgebaut. Seit 1996 fungiert er als Chefarzt der Anästhesie. Silke Ruschmeyer (41) leitet seit 2014 die Stabsstelle Qualitätsmanagement (QM) und Klinisches Risikomanagement (KRM). Philipp Seiler (35) ist Pflegefachkraft, seit vier Jahren leitet er die Station für Pneumologie und Beatmung. Miriam Erdmeier (32) hat ein Studium für Management im Gesundheitswesen absolviert und ist seit 2017 QM- sowie CIRS-Beauftragte am Klinikum.
Wo liegen die Schwerpunkte des klinischen Risikomanagements?
Silke Ruschmeyer: Der Fokus liegt darauf, klinische Risiken zu identifizieren, um präventiv Maßnahmen zu etablieren, die diese verhindern. Präventionen zur Risikovermeidung können etwa die Markierung des Eingriffsortes vor einer Operation oder Checklisten zur Sicherheit im OP sein.
Prof. Dr. Peter Werning: Was vor allem zählt, sind medizinische Qualität und optimale Behandlungsergebnisse. Gute Medizin bedeutet, die Behandlung so zu organisieren, wie man sie selber erwarten würde.
Wo liegen aus Ihrer jeweiligen Sicht die größten Probleme?
Prof. Dr. Peter Werning: Das medizinische Leistungsniveau ist extrem hoch, Vorfälle sind sehr selten. Aber wir arbeiten natürlich kontinuierlich an Verbesserungen.
Was hat sich beim Thema Risikomanagement in den vergangenen Jahren verändert beziehungsweise verbessert?
Miriam Erdmeier: Jede Klinik führt monatlich sogenannte Morbiditäts- und Mortalitätskonferenzen durch, die der Aufarbeitung besonderer Behandlungsverläufe oder Vorkommnisse dienen sollen. Zudem gibt es sogenannte OP-Checklisten – eine Operation kann nicht begonnen werden, bevor Punkte wie Name und Geburtsdatum des Patienten oder der Patientin, geplanter Eingriff, Diagnose und Eingriffsort nicht zweifelsfrei abgearbeitet sind – ähnlich wie in einem Flugzeug-Cockpit.
Silke Ruschmeyer: Es wurden ein Patientenaufklärungs- und Dokumentationsleitfaden, Patientenarmbänder, das Vier-Augen-Prinzip etwa beim Bereitstellen der Medikation, Schulungen sowie strukturierte Einarbeitungspläne etabliert.
Philipp Seiler: Wir wollen Verwechslungen komplett ausschließen. Daher gilt auch in der Pflege, dass immer alles doppelt kontrolliert wird, egal ob es Medikamente, Arbeitsschutz oder Hygiene betrifft.
Wie werden aufgetretene Vorfälle nachbereitet?
Silke Ruschmeyer: Sämtliche Meldungen werden systematisch abgearbeitet – hierzu zählen unter anderem das Einholen von Stellungnahmen, eine Ursachenanalyse und die Bewertung des Vorfalls nach Eintrittswahrscheinlichkeit. Regelmäßig wird ein sogenannter Fall des Monats veröffentlicht, um die Mitarbeitenden für mögliche Fehler zu sensibilisieren.
Was versteht man unter CIRS – und was verspricht man sich davon?
Miriam Erdmeier: CIRS ist ein für alle Mitarbeitenden zugängliches anonymes Meldesystem für Beinahe-Fehler – eine Art „Rettungsring“ zur Vermeidung von Schäden. Die Abkürzung steht für den englischen Begriff „critical incidence reporting system“. In erster Linie geht es um die Stärkung der Patienten- und Mitarbeitersicherheit, aber auch um die Förderung einer offenen Fehlerkultur und transparenten Kommunikation kritischer Ereignisse.
Silke Ruschmeyer: Der Fokus liegt nicht darauf, wer schuld ist – Ziel muss es sein, den gleichen Fehler nicht zu wiederholen. Wir verzeichnen rund 100 Meldungen pro Jahr, die mindestens eine Verbesserungsmaßnahme zur Folge haben.
Philipp Seiler: Routine ist in vielen Fällen etwas Positives und wird als Ziel von allen am Behandlungsprozess beteiligten Personen angestrebt. Jedoch gibt es auch einige Routinen, die sich negativ auswirken. Mit diesem Bewusstsein sowie den Beobachtungen anderer Abteilungen gelingt es, über den Tellerrand zu blicken, die eigene Einheit zu überprüfen und für kritische Punkte sensibilisiert zu werden.
Prof. Dr. Peter Werning: CIRS ist ein wichtiges Instrument, um Fehler zu entdecken, bevor eine Patientin oder ein Patient zu Schaden kommt. Es ist gut, schlechte Dinge zu beseitigen und andere noch besser zu machen.
Wie werden aufgetretene Vorfälle nachbereitet?
Silke Ruschmeyer: Sämtliche Meldungen werden systematisch abgearbeitet – hierzu zählen unter anderem das Einholen von Stellungnahmen, eine Ursachenanalyse und die Bewertung des Vorfalls nach Eintrittswahrscheinlichkeit. Regelmäßig wird ein sogenannter Fall des Monats veröffentlicht, um die Mitarbeitenden für mögliche Fehler zu sensibilisieren.
Was gehört zur Risikominimierung in einem OP?
Prof. Dr. Peter Werning: Es gibt den Begriff „never events“ – Dinge, die nicht passieren dürfen. Um 100-prozentige Fehlerfreiheit zu erreichen, zählen Vorkehrungen wie Patientenarmband und OP-Checkliste, Identifikationsabgleich, unterzeichnete Aufklärung, markierter Eingriffsort, Allergien, Team-Time-out (vor der OP stellen sich alle Beteiligten vor und kontrollieren gemeinsam sämtliche Patienten-Parameter), die Kontrolle des Instrumentariums sowie eine Benennung von etwaigen Schwierigkeiten und kritischen Punkten zur optimalen Vorbereitung.