Blasenschwäche im Alter:
Nicht abwarten

Inkontinenz belastet viele Menschen, besonders Senioren. Doch sehr oft scheuen sie den Arztbesuch, zu peinlich scheint das Thema. Nicht so für Dr. Silvia Varotto, Chefärztin der Klinik für Geriatrie und Altersmedizin.

Autorin: Margot Dankwerth

Ganz dringender Harndrang im Supermarkt, aber leider keine Toilette in Sicht? Eine vertrackte Situation! Auch Husten, ein Lachanfall, Treppensteigen oder das Heben schwerer Gegenstände können bewirken, dass unwillkürlich Urin abgeht. „Das Tabuisieren des Themas ist ein Riesenproblem“, sagt Dr. Silvia Varotto, Chefärztin der Geriatrie am Klinikum Braunschweig. „Viele Betroffene gehen aus Scham zu spät zum Arzt und leiden deshalb unnötig lange.“

Männer und Frauen von Inkontinenz betroffen

Das weiß sie aus Erfahrung und nennt zusätzlich Zahlen: „In unserer stationären Versorgung in der Geriatrie waren 2021 insgesamt 63 Prozent der Patientinnen inkontinent, bei den Männern waren es 36 Prozent.“ Der Unterschied zwischen den Geschlechtern liegt darin begründet, dass der Beckenboden, der die Funktionen der Schließmuskulatur von Blase und Darm stützt, bei Frauen durch Schwangerschaft beziehungsweise Geburt außerordentlich strapaziert wird. Männer sind aufgrund ihrer Anatomie besser dran: Zwar wird auch bei ihnen mit dem Alter das Bindegewebe schwächer und sie sind durch die altersbedingte Vergrößerung der Prostata für Inkontinenz anfällig – aber ihre Beckenbodenmuskulatur ist stärker und wird im Lauf des Lebens weniger belastet.

Eine Therapie kann durch individuell abgestimmte Medikamente erfolgen. Chefärztin Dr. Silvia Varotto: „Auch kleine chirurgische Eingriffe, etwa die Anhebung und Fixierung einer abgesenkten Blase oder Harnröhre, sind je nach Alter und Gesundheitszustand der Betroffenen möglich und werden bei uns im Klinikum durchgeführt. Nach wenigen Tagen können die Patientinnen und Patienten in der Regel nach Hause gehen.“

Dr. Silvia Varotto
Chefärztin der Geriatrie am Klinikum Braunschweig

Unterschiedliche Ursachen für Inkontinenz

Die Ursachen für Inkontinenz? Bei den Patientinnen und Patienten der Geriatrie, die an Demenz, Herzinsuffizienz, den Folgen eines Schlaganfalls oder Frakturen leiden, wird die Harninkontinenz oft durch eine begleitende Störung des Nervensystems, Medikamente und Immobilität verursacht. Doch Blasenschwäche trifft auch Menschen ohne dokumentierte Vorerkrankungen oder Verletzungen. Bei diesen Betroffenen – hier gibt es ebenfalls Gründe – handelt es sich laut Dr. Varotto um andere Auslöser:

  • Übergewicht schwächt den Beckenboden, Fettgewebe drückt auf die Blase
  • Nachlassende Blasenkapazität im Alter
  • Beckenbodenschwäche durch frühere Schwangerschaft
  • Altersbedingte Vergrößerung der Prostata
  • Zu wenig Bewegung lässt die Beckenbodenmuskultur verkümmern

„Mediziner unterscheiden zwischen drei Formen der Inkontinenz“, erklärt Chefärztin Dr. Varotto. Sie erläutert: „Bezeichnend für die Dranginkontinenz beziehungsweise Reizblase ist sehr plötzlicher, intensiver Harndrang mit verkürzter Aufhaltezeit. Die sogenannte Überlaufblase hingegen entsteht, wenn sich die Blase, etwa durch Muskelschwäche oder wegen einer blockierten Harnröhre, nicht vollständig entleeren kann. Dann sorgt der Druck für ein Tröpfeln, einen geringen, aber stetigen Urinausfluss. Dies tritt aufgrund der altersbedingten Vergrößerung der Prostata eher bei Männern auf. Bei der Stress- oder Belastungsinkontinenz handelt es sich um eine Funktionsschwäche des Harnverschlussapparats, spürbar beispielweise bei Husten, Lachen, Niesen. Der Urin geht in Spritzern ab. Das ist die häufigste Inkontinenzform bei Frauen.“

Tipps, die gegen Inkontinenz helfen können

Pflegefachfrau Claudia Pilkenroth aus der Geriatrie ist spezialisiert auf das Thema Inkontinzenz. Hier ihre konkreten Tipps:

Phytotherapie Kürbiskerne und Kürbissamenöl verbessern die Symptome einer Reizblase. Auch Sitzbäder mit Kamille, Eichenrinde und Brennesselwurzel können helfen.
Beckenbodentraining So oft wie möglich den Beckenboden drei Sekunden lang anspannen und wieder loslassen – auch wirksam bei Männern.
Toilettentraining Man trinkt etwa alle zwei bis drei Stunden und geht 30 Minuten später aufs WC – auch wenn man nicht „muss“. Stufenweise die Abstände verlängern.
Hilfsmittel Für Männer haben sich neben Vorlagen Urinkondome bewährt, die mit Beutel unsichtbar unter der Kleidung getragen werden. Weiche Urinflaschen aus Plastik helfen die Nacht zu überbrücken. Für Patientinnen wie Patienten gilt: Bei Belastungsinkontinenz empfehlen sich andere Vorlagen als bei Überlaufinkontinenz. Die Wahl der passenden Vorlage unbedingt mit dem Arzt besprechen!

2023-06-10T18:45:41+02:00
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