Spezialisierte Chirurgie: Knie und Schulter

Ob ein Gelenk durch einen Unfall verletzt wurde, ganz plötzlich, oder ob eine Arthrose immer weiter voranschreitet – Schulter-, Knie- und Sportorthopädie ist ein hoch spezialisierter Bereich. Am Klinikum Braunschweig hat er ein eigenes Department.

Autorin: Prem Lata Gupta

ber 20 Kilometer hatte die Wanderin bereits zurückgelegt, dann ein falscher Schritt auf rutschigem Boden, Meniskusverletzung, Schmerzen: Heute soll die Braunschweigerin operiert werden, ein großes Kreuz markiert ihr rechtes Knie. PD Dr. Marc-Frederic Pastor, ärztlicher Leiter für Knie-, Schulter- und Sportorthopädie der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, wird heute insgesamt vier minimalinvasive Eingriffe vornehmen, wie immer besucht er vorher Patientinnen und Patienten auf deren Zimmer. Vorsichtig bewegt er den Unterschenkel der Frau. Autsch! Ein paarmal verzieht sie das Gesicht. „Jetzt schaue ich mir noch mal die Befunde aus bildgebenden Verfahren im Büro an“, sagt er. Anschließend geht es in den OP-Saal.

Koordination von Auge und Hand

Da liegt bereits der erste Patient: Auch bei dem 71-Jährigen soll eine Arthroskopie – der Volksmund nennt es Spiegelung – des Knies stattfinden: Zwei kleine Schnitte sind dafür notwendig, über den ersten wird ein kleines Rohr eingeführt, in dem sich eine Videokamera mit Lichtquelle befindet, außerdem eine Vorrichtung, um das Gelenk zu spülen – für eine bessere Sicht. Über die zweite Öffnung lassen sich Instrumente einführen, um einen Defekt während der Spiegelung direkt zu behandeln. Was die Kamera erfasst, wird auf einen Bildschirm übertragen. Anders als bei einem großen Schnitt sieht der Chirurg nicht das Operationsfeld direkt, sondern als Darstellung des Körperinneren auf einem Monitor. Weil es von innen beleuchtet wird, scheint das Gelenk zu glühen. PD Dr. Pastor fährt mit einer Art Mini-Fräse über helles aufgefasertes Knorpelgewebe und glättet damit die Oberfläche. „Das muss man sich wie einen Fusselrasierer vorstellen“, erläutert Dr. Diana Schuhmacher, Fachärztin für Orthopädie und Unfallchirurgie und Teamkollegin von PD Dr. Pastor.

Außerdem befinden sich ein Anästhesist und eine Pflegefachkraft im Raum, Nils Brandt als Operationstechnischer Assistent und Alexander Bauer, fachweitergebildeter OP-Pfleger, reichen Instrumente und andere Materialien an. Jeder Griff sitzt, die Atmosphäre im Saal ist konzentriert und locker zugleich. „Soll ich mal umschalten“, flachst Brandt mit Blick auf den Bildschirm, „vielleicht auf ARD oder ZDF?“

PD Dr. Marc-Frederic Pastor sagt über minimalinvasive Operationen: „Dafür braucht man eine gute Auge-Hand-Koordination. Es wird sogar behauptet, dass Erfahrung mit Computerspielen bei dieser Art von Eingriffen von Vorteil ist.“ Er ist spezialisiert auf Schulter- und Kniechirurgie. Die Fallzahlen nehmen zu, das hat nicht zuletzt mit gestiegenen Erwartungen zu tun: „Auch ältere Menschen wünschen sich Beweglichkeit oder wollen einen beschränkten Aktionsradius nicht akzeptieren.“

Bildliche Darstellung auf dem Smartphone: Dr. Diana Schuhmacher zeigt den Aufbau der Schulter.

Zweimal Knie heute, zweimal Schulter. Das bedeutet nicht nur, mit wischenden Bewegungen Knorpelgewebe zu glätten. Einmal kommt ein vier Millimeter kleines Instrument zum Einsatz, das in der Vergrößerung wie ein Krokodilmaul aussieht, damit lassen sich lose Enden eines zerstörten Meniskus kappen. Bei der Schulter-OP umfasst die sogenannte Gelenktoilette neben der Behandlung von Knorpelunebenheiten auch die Entfernung eines Knochensporns, der auf die darunter liegende Sehne drückt. Außerdem entfernt der Chirurg entzündetes Schleimbeutelgewebe und setzt die lange Bizepssehne um.

Ersatz für Knorpel

Knorpelschäden – sofern sie nicht die gesamte Gelenkoberfläche betreffen – lassen sich gut behandeln. Dafür gibt es mehrere Methoden. Wenn der Defektbereich gezielt „angepikt“ (Perforation) wird und anschließend mit einem Vlies aus Hyaluronsäure abgedeckt, bildet der Körper aus dem Vlies und Stammzellen eine Art Ersatzknorpel.

Eine Alternative speziell bei größeren Schäden ist die Knorpelzelltransplantation. Da- bei werden im ersten Schritt Knorpelzellen und Patientenblut entnommen. Letzteres dient als Nährmedium, um darin körpereigene Zellen zu züchten. Diese werden bei einem zweiten Eingriff nach einigen Wochen in den Knorpelschaden transplantiert. In seltenen Fällen, falls Knochen und Knorpel betroffen sind, können Gewebezylinder aus gesunden, nicht belasteten Bereichen des Gelenks entnommen und an defekte Stellen verpflanzt werden.

Wie groß muss ein Eingriff sein?

Seiner Einschätzung nach bedeutet der Eingriff für gerade diesen Patienten einen zeitlichen Aufschub. „Über lange Phasen ist er konservativ behandelt worden – bis es nicht mehr ging. Aber er möchte kein neues Schultergelenk, jedenfalls nicht jetzt.“ Es ist eine Haltung, für die PD Dr. Pastor durchaus Verständnis hat. Auch er selbst versuche immer abzuschätzen, ob nicht operative Behandlungsmethoden bereits voll ausgeschöpft sind. Oder es stelle sich die Frage, wie groß ein Eingriff sein muss. Er nennt Beispiele: „Bei einem Verschleiß auf der Innenseite des Kniegelenks braucht es nicht unbedingt eine Teilprothese, vielleicht kann man den Knochen auch begradigen.“ Oder: „Muss man ein neues Gelenk implantieren oder lässt sich ein lokalisierter Knorpelschaden nicht an sich behandeln?“ Im letzteren Fall käme möglicherweise eine Knorpelersatztherapie als regenerativer Ansatz in Betracht (siehe Kasten oben).

Positive Botschaft bei der Visite am Nachmittag: Der Meniskus war weniger schwer verletzt als ursprünglich gedacht.

Ein Gelenkersatz ist die letzte Möglichkeit, wenn kein anderer Therapieansatz mehr Erfolg verspricht. Und es sind keinesfalls nur alte Menschen, die eine Prothese benötigen. Es gibt gefährdete Berufsgruppen wie beispielsweise körperlich hart arbeitende Personen und Kraftsportler, die im Fitness-Studio exzessiv mit Gewichten hantieren und ihren Körper dabei über Gebühr belasten. Auch heftige Verletzungen können ein neues Gelenk erforderlich machen. PD Dr. Marc-Frederic Pastor erklärt die Spezialisierung. „Es existieren inzwischen so viele OP-Techniken, dass es den Alleskönner unter den Operateuren kaum noch gibt.“ Bei Schulterprothesen etwa unterscheide man zwischen der anatomischen und der inversen Variante. Erstere komme von der Konstruktion dem ursprünglichen Gelenk so nahe wie möglich. Bei der inversen Prothese tauschen Gelenkkopf und Pfanne als Ersatzteile ihren Platz: Das ist die Lösung, „wenn ein Bruch des Oberarmkopfes vorliegt oder wenn große Sehnenrisse bestehen“, so der Arzt.

Fachlich exzellente Leitung

Auch die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) empfiehlt eine Spezialisierung der Fachmediziner, um gestiegenen Anforderungen Rechnung zu tragen. So ist laut PD Dr. Marc-Frederic Pastor die personalisierte OP-Technik auf dem Vormarsch. „Wenn ein Fall kompliziert ist, kann man sich von den Herstellerfirmen der Prothesen vorab Schablonen in 3-D drucken lassen, um Kugel und Gelenkpfanne optimal zu positionieren. Diese Option nutze ich gelegentlich – für ein bestmögliches Ergebnis.“ 

Prof. Dr. Thomas Gösling, Chefarzt der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, hält die Gründung eines eigenen Departments für Schulter-, Knie- und Sportorthopädie für den richtigen Schritt. Er freut sich sehr: „Mit Dr. Pastor haben wir eine fachlich exzellente ärztliche Leitung für diesen hoch spezialisierten Bereich gefunden.“ Gute Nachrichten für das Klinikum Braunschweig, gute Nachrichten ganz aktuell aber auch für die erste Patientin von heute. PD Dr. Pastor: „Sie hat Glück im Unglück gehabt. Wir haben den einen kleinen Knorpelschaden behandelt. Aber der Meniskus ist nur angerissen, er hat gute Chancen, wieder zu heilen.“

PD Dr. Marc-Frederic Pastor
Ärztlicher Leiter für Knie-, Schulter- und Sportorthopädie

2023-06-06T13:16:08+02:00
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